Koenig Arsch - Mein Leben als Kunde
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Der Kunde, das gläserne Wesen
Biologen haben sich einen Trick ausgedacht: Um die Wanderrouten seltener Tierarten, etwa von Wölfen, zu ergründen, heften sie den Tieren einen Peilsender an. Damit können sie verfolgen, zu welchen Zeiten der Wolf wandert, wie groß sein Revier ist und welches gerissene Schaf auf sein Konto geht. Der geheimnisvolle Wolf, er hat keine Geheimnisse mehr. Jeder seiner Schritte wird sichtbar.
Aber geht es uns Kunden wirklich besser? Wird uns nicht auch ein »Sender« an den Körper geheftet, der unsere Gewohnheiten enttarnt, unsere Schritte nachzeichnet und unser künftiges Verhalten vorhersagbar macht? Wer rund um die Uhr seine Kunden- und EC-Karten einsetzt, hat am Ende des Tages keine Geheimnisse mehr.
Die Firmen sind ganz wild darauf, mich als Kunden bis ins letzte Detail zu kennen. In welchem Beruf ich arbeite, was ich pro Monat verdiene, wie viele Personen in meinem Haushalt leben, wie alt meine Kinder sind, welche Produkte mich interessieren, wie viel Geld ich pro Einkauf ausgebe, zu welchen Zeiten ich Geschäfte besuche, unter welcher Handy-Nummer ich zu erreichen bin – all das wollen die Firmen wissen. Ich, der Kunde, soll transparent wie ein Schaufenster sein. Freier Blick auf meine Seele.
Mit der Kundenkarte ist das goldene Zeitalter des Marketings angebrochen. Der missbrauchte Verbraucher entblößt sich gleich zweifach: das erste Mal, wenn er die Kundenkarte beantragt, das zweite Mal, wenn er sie (dauerhaft) nutzt.
Alle Kundenkarten-Anträge der Republik haben eine Gemeinsamkeit: Es sind unsittliche Anträge. Denn was muss ein Kundenkarten-Aussteller für ein Bonusprogramm zwingend wissen? Nur den Namen und die Anschrift.
Natürlich hüpfen die Firmen über die Hürden der Diskretion hinweg. Ob Geburtsdatum oder Telefonnummer, E-Mail-Adresse oder Hobby, BH-Größe, Einkommen oder Kinderzahl – die Anträge laden zum Striptease ein. Unter offiziellem Deckmantel, durch Formulare, verlocken mich die Firmen zu Auskünften, die ihnen offiziell gar nicht zustehen. Nur wer durch eine Lupe schaut, entdeckt bei Intimfragen meist ein winziges Sternchen, das auf eine noch winzigere Fußnote am Ende des Formulars verweist. Dort heißt es dann: »Ätsch, Punkt 2 war eine Falle – den hättest du gar nicht ausfüllen müssen!«
Doch zu diesem Zeitpunkt – so hoffen die Firmen wohl – ist nicht nur das Formular verbraucht, sondern auch meine Geduld. Ich soll mir denken: Augen zu, Umschlag zu – und durch!
Die Naivität der Kunden beim Datenschutz ist ein gefundenes Fressen für die Firmen. Wer eine Kundenkarte beantragt, wird über seine Rechte kaum belehrt. Die Tatsache, dass jemand an einem Bonusprogramm teilnimmt, bedeutet entgegen der landläufigen Meinung noch lange nicht, dass seine Daten automatisch für Marketingzwecke wie individuelle Werbe-Bombardements benutzt werden dürfen. Doch einige Anträge sind so aufgebaut, dass diese Nutzung vom Kunden durch ein Kreuz ausgeschlossen werden muss. Wer das versäumt, wird zum Freiwild.
Als die Stiftung Warentest im Sommer 2010 untersuchte, wie es um den Datenschutz bei Kundenkarten steht, war das Ergebnis ein Desaster: Von 29 Unternehmen hatten sich nur vier an die geltenden Datenschutz-Gesetze gehalten. Der Rest trat die Rechte der Kunden mit Füßen. 76
Einige Firmen erforschen ihre Kunden bis auf die nackte Haut. Die Wäschefirma Palmers warf einen verlockenden Köder aus: Wer seine Konfektionsgröße angab und damit rausrückte, welche Unterwäsche ihn mehr reizt, sportlich oder raffiniert-verführerisch – der bekam für diese intimen Auskünfte 30 Euro auf seiner Kundenkarte gutgeschrieben.
Was mit diesen vertraulichen Daten geschieht? Palmers gab lapidar an, sie »für Verwaltung, Kundenclub, Kontoführung, Marketing etc.« zu verwenden – man beachte den Zusatz »etc.«, was übersetzt heißt: »Wofür immer wir wollen!« Der Kunde lässt die Hosen runter. Für 30 Euro. König Arsch!
Doch öfter noch entblößt sich der Kunde unfreiwillig. Etwa dann, wenn er ein Bewegungsprofil hinterlässt, wenn er dank diverser Kundenkarten von Geschäft zu Geschäft, von Stadt zu Stadt verfolgt wird. Aber wie soll diese vollkommene Überwachung funktionieren?
Die dreiste Antwort lieferte 2010 die Firma Easycash Loyalty Solutions, ein Tochterunternehmen von Deutschlands größtem EC-Netzbetreiber Easycash. Bei dem Unternehmen sind gleichzeitig die Daten von 50 Millionen EC-Karten und von 14 Millionen Kundenkarten
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