König Artus
Überfluß Unruhe und Unbehagen stiften. Schließlich mußte er feststellen, daß der langersehnte Friede, mit so bitteren Opfern erkauft, mehr Bitterkeit schuf als alle Qualen, unter denen er erreicht worden war. König Artus sah mit banger Sorge, wie die jungen Ritter, die die Reihen der Kämpen hätten auffüllen sollen, ihre Kraft in den Niederungen der Unzufriedenheit, der Ziellosigkeit und des Selbstmitleids vergeudeten und die alte Zeit verdammten, ohne selbst eine neue geschaffen zu haben.
In der kampfgestählten Gemeinschaft der Tafelrunde überragte Sir Lancelot alle anderen. Er hatte sein Können bewiesen und ständig an Ehre und Verehrung gewonnen, bis er als der beste Ritter auf der ganzen Welt galt. Keiner besiegte ihn in der Schlacht, beim Tjosten oder im Turnier, außer durch Zauberei oder Tücke. Dies war derselbe Lancelot, dem als Kind von Merlin prophezeit worden war, daß er einst die Ritterschaft des Erdenrunds überragen werde. In seinen Knaben- und frühen Mannesjahren hatte er sich bemüht, diese Prophezeiung wahr zu machen, und allem anderen entsagt, bis er so weit über den Rittergenossen von der Tafelrunde stand, wie diese über allen anderen Rittern standen. In allen Wettbewerben blieb er Sieger, in jedem Turnier errang er den Preis, bis schließlich die älteren Ritter sich nur noch widerstrebend mit ihm schlugen und die jüngeren verachtenswerte Gründe vorbrachten, damit sie überhaupt nicht gegen ihn kämpfen mußten.
König Artus liebte Sir Lancelot, und Königin Guinevere war ihm gewogen. Und Sir Lancelot seinerseits liebte den König wie die Königin und schwor, zeit seines Lebens sein Rittertum dem Dienst der Königin zu weihen.
So kam es dahin, daß der beste Ritter der Welt am Hof keinen Gegner mehr fand, und er spürte, daß sein Können als Kämpe zu rosten begann. Er wurde niedergeschlagen, da kein gegnerisches Schwert sein eigenes scharf hielt, kein gegnerischer Arm seinen eigenen stählte und belehrte. Und da sein auf ein einziges Ziel gerichteter Lebensweg ihn zu dem geführt hatte, was er geworden war – der beste Ritter der Welt –, vermochte Lancelot keinen Scheideweg zu finden, der ihn entweder zur Liebe oder zum Ehrgeiz führte. Er fand keine Hindernisse, die ihn in die Arme von Neid oder Tücke oder Habgier trieben, kein Kummer, keine Enttäuschung hätten ihn dazu gebracht, sich über das übliche Maß hinaus der Religion zuzuwenden. Sein von früh auf gestählter Körper wollte nichts wissen von Behaglichkeit und Lebensgenuß, ja, selbst das Verständnis fehlte ihm dafür. Er war ein Jagdhund ohne Wild, ein aufs Land verbannter Fisch, ein Bogen ohne Sehne. Und wie alle Männer, deren Kraft brachliegt, wurde auch Lancelot ruhelos, dann gereizt und schließlich zornig. Er stellte fest, daß in seinem Körper Schmerzen und in seinem Gemüt Düsternisse wohnten, die vordem nicht dagewesen waren.
Guinevere, die Lancelot sehr zugetan war und die Männer verstand, sah betrübt den Verfall eines perfekten Ritters. Sie beriet sich lange mit dem König, der ihr seine Besorgnisse über die jungen Ritter anvertraute.
»Wenn ich es nur begreifen könnte«, sagte Artus. »Sie essen gut, schlafen behaglich, frönen der Liebe, wann und mit wem sie es wünschen. Sie nähren bereits Begierden, die erst halb erwacht sind, und wollen nichts wissen von den Schmerzen, dem Hunger, der Erschöpfung, der Selbstzucht, die den Genuß erst zum Genuß machen – und dennoch sind sie nicht zufrieden. Sie klagen, die Zeit sei gegen sie.«
»So ist es auch«, sagte Guinevere.
»Wie meint Ihr das?«
»Ihr Leben besteht aus Müßiggang, mein Gebieter. Die Zeit fordert ihnen nichts ab. Der eifrigste Jagdhund, das schnellste Pferd, die beste der Frauen, der tapferste Ritter, sie alle können der erstickenden Wirkung des Müßiggangs nicht entgehen. Selbst Sir Lancelot murrt wie ein verwöhntes Kind über sein seßhaftes Leben.«
»Was soll ich nur tun?« sagte König Artus verzweifelt. »Ich sehe vor meinen Augen die edelste Ritterschaft der Welt im Niedergang, sich auflösen wie eine windgepeitschte Düne. In den schweren, dunklen Zeiten habe ich um Frieden gebetet, dafür gearbeitet und gekämpft. Jetzt habe ich ihn, und er macht mir nur Kummer. Denkt Euch, ich ertappe mich bei dem Wunsch nach Krieg, um meine Probleme zu lösen!«
»Da seid Ihr nicht der erste und nicht der letzte«, sagte Guinevere. »Aber bedenkt, Herr: wir haben zwar allgemein Frieden im Land, doch so wie ein gesunder
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