Königin der Engel
dritten Fuß von Ost-Comb Eins gewohnt, Madame.«
Sie nickte, als sie sich daran erinnerte. »Es würde mir nichts ausmachen, wenn er geschnappt und verurteilt wird«, sagte sie mit federleichter Stimme. »Er war eigentlich nie einer von uns. Untherapiert, ja, aber ein richtiger Natürlicher – ein Naturtalent – hat so etwas auch nicht nötig. Wir sind alle keine richtigen Natürlichen, mein Lieber. Wir sind bloß Untherapierte. Unser Abzeichen scheinbaren Protests. Oh nein. Emanuel wird eine viel höhere Kategorie als die unsere in den Schmutz ziehen.«
Madame de Roche entließ ihn, und er war kaum draußen, da sank auch schon seine Laune. + Mehr und mehr bin ich nichts ohne andere. Allein sein heißt in schlechter Gesellschaft zu sein.
Richard lief auf der von Wurzeln aufgewölbten Betondecke der Straße auf und ab. Fünf Minuten nach dem Signal seines Piepers summte ein weiterer kleiner, runder, weißer Autobus hinter den Eukalyptusschirm und öffnete seine breiten Türen.
»Fahrtziel?« fragte ihn der Bus mit angenehmer, androgyner Stimme.
+ Menschen. Ein Ort wo der Streß einfach ein Ende hat.
Richard gab eine Adresse in Glendale auf der Pacific an, einer Straße, die zum Ost-Comb Drei und in dessen Schatten führte. Ein richtiger Salon, wo man selbstgebrautes Bier bekam und – was das Wichtigste war – wo er nicht allein sein würde. Vielleicht konnte er die Geschichte dort noch einmal erzählen – maximaler Effekt, maximal bereinigte Fassung. + Schwarze Nemesis. Darauf zurückgreifen.
»Eine Stunde«, erklärte ihm der Bus.
»So lange?«
»Viele Anforderungen. Bitte steigen Sie ein.«
Richard stieg ein und hielt sich an einem Halteriemen fest.
Als Moses vom Horeb herabkam, loderte Gottes Feuer in seinen Haaren, seine Lippen waren rußverschmiert, weil er die geschwärzten Blätter des brennenden Busches gegessen hatte, und er hatte nichts Menschliches mehr an sich. Er war wie Flußstahl, der bei jeder Berührung einen metallischen Klang von sich gibt, und er dachte über seine Zukunft nach. Er würde die Männer führen. Die Frauen auch. Er ließ sich im Dunkeln neben seiner lieben Frau Zipporah nieder und verfluchte sein Mißgeschick.
Männer wußten nicht, was sie wollten oder wie sie es sich verschaffen konnten. Sie taten, was ihnen als erstes in den Sinn kam. Sie haßten beim geringsten Anlaß und verschmähten die Liebe, weil sie fürchteten, ausgenutzt zu werden. Sie griffen im Handumdrehen zu Gewalt, bezeichneten ihre Mordtaten und ihr Zerstörungswerk dann als heldenhaft, prahlten damit und weinten, wenn sie betrunken waren. Und erst die Frauen! Hatte Flußstahl nicht etwas Besseres verdient?
»Gib mir eine ruhmreiche Aufgabe, Herr. Mit diesem Gesocks will ich nichts zu tun haben.«
Daraufhin stieg Gott hernieder und ließ vor Zorn auf ihn den Boden draußen vor seinem Zelt erbeben. Zipporah, die Tochter Jethros, rief: »Moses, Moses, was hast du getan?«
»Ich habe nichtswürdige Gedanken gehabt«, sagte Moses in der Hoffnung, das würde genügen, um Gott zu besänftigen, aber die Landschaft wurde blutrot, und der Himmel füllte sich mit blutigen Wolken. Flußstahl hin und her: Moses hatte Angst.
Zipporah kam auf die kluge Idee, ihrem armen Sohn die Vorhaut zu beschneiden. Sie bestrich erst Moses und dann den Türrahmen mit dem Blut.
»Laß meinen Mann in Ruhe!« rief sie. »Er ist ein guter Mann. Nimm meinen Sohn, aber nicht meinen Mann!«
Moses versteckte sich hinter Jethros Tochter und begriff voll und ganz, wie schwach sein Volk war.
6
Mary Choy kam um eins zu der eingefrorenen Wohnung zurück. Sie hatte sechs Stunden dienstfrei gehabt, kaum genug für Nickerchen Essigbad und Papierkram. Sie hatte beantragt, ausschließlich auf diesen Fall angesetzt zu werden, und war sicher, daß man es ihr bewilligen würde.
Einige der immer noch im Eis eingeschlossenen Opfer waren identifiziert worden, und es waren Gold- und Platinnamen: Studenten, Söhne und Töchter der Berühmten und Einflußreichen. Sie schlüpfte in der draußen vor der Tür zum Flur aufgebauten Kabine in einen Thermalanzug, ließ das Siegel erbrechen und trat in die blaue Kälte.
Ein Röntgenanalysator hing von der Schiene herab, die an der Wohnungsdecke befestigt worden war. Er hatte den Schnüffler ersetzt. Staubmäuse kämpften sich durch den kalten, steifen Flor des einstmals lebendigen Teppichs und suchten nach Schuppen und anderem Abfall, der in dessen normalen Verdauungsorganen hängengeblieben war.
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