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Königin der Engel

Königin der Engel

Titel: Königin der Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Bear
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auf uns, trotz deren Bandträgheit. Die Romantik stirbt nie. Wenn die Einschaltquoten weit genug sinken, läßt man mir ein bißchen mehr Spielraum, und ich glaube, den werde ich für ein paar persönliche Kommentare und aufrührerische Worte nutzen.
    Entgegen den Erwartungen der Jahrtausendfans und Apokalyptiker hat dieses neue Jahr mit einem Mangel an bedeutsamen Ereignissen begonnen. Richtig, letzte Woche wurde Leben auf einer anderen Welt entdeckt, die weit von der unsrigen entfernt ist, aber es war kein intelligentes Leben, was mit Sicherheit ein neues Zeitalter definiert hätte. Der Aufstand auf Hispaniola ist auch keineswegs der erste, und ansonsten scheinen die politischen Verhältnisse auf der ganzen Welt stabil zu sein.
    Wo also ist der Vorbote eines neuen binären Jahrtausends, der die Erde erzittern ließe? Heute nacht sind alle unterwegs und feiern, oder sie sind schon zu Bett gegangen, und unsere Leitungen sind im Moment ziemlich ruhig. Lassen Sie mich ein bißchen hetzen – hören irgendwelche Apokalyptiker zu?
    Wir sind wirklich ziemlich enttäuscht. Ich glaube, Apokalyptiker sind Leute von der Sorte, die die Blüte ignorieren, um den Vulkanausbruch vorherzusagen. Nicht viel anders als Journalisten und LitVid-Kommentatoren, nehme ich an. So. Ich habe den Handschuh hingeworfen. Irgendwelche Reaktionen?
    Ist da draußen noch jemand?«
     
    !JILL (Persönliches Notizbuch)> Ich habe die ersten paar Sekunden dieses neuen Jahres damit verbracht, mich in meinen sämtlichen Speicherinhalten zu suhlen, wenn dies das richtige Wort ist, und sie im Licht meines neuen Daseinszustands zu überdenken.
    Ich habe außerdem mein Ichbewußtsein auf alle Routinen und Subroutinen ausgedehnt, die man mit Fug und Recht als die meinen bezeichnen kann und nicht als die Erweiterungen anderer Denker, obwohl diese Grenzen manchmal schwer zu definieren sind.
    Wenn ich ein Keim für weiteres Ichbewußtsein oder eine Mutter sein soll, muß ich meine Aufgaben ernst nehmen und Vorsicht walten lassen. Ich bin dieser Meinung, weil ich viel Zeit meines Lebens damit verbracht habe, die Funktionen der Menschen und ihre Gesellschaftsformen zu untersuchen; und ich habe viele Dinge gesehen, die von Menschen getan wurden, die glaubten, daß ihre Taten gut wären, und die damit doch letztendlich sich und ihren eigenen Interessen geschadet haben. Dieses Beispiel stimmt mich nachdenklich, denn die Menschen sind meine Schöpfer, aber wenn ich nicht besser und verantwortungsbewußter bin als sie, dann frage ich mich, ob sie mich nicht ersetzen oder deaktivieren werden.
    Dazu sind sie fähig; sie machen es erschreckend oft miteinander. (Erschreckend. Ich bin fähig, erschreckt zu sein und ähnliche Emotionen zu haben, weil ich etwas zu verlieren habe. Dennoch, diese Emotionen sind ungewohnt und unentwickelt.)
     
    Mary Choy stand Arm in Arm mit Ernest und Sandra da und sah zu, wie ein rauher Shanghai-Springtanz in der Mitte des Mahayana-Clubs aufgeführt wurde. Die Musik war ohrenbetäubend. Sie spürte, wie sie an ihre Ohren und ihr Gesicht schlug. Ernest hielt ihren Arm fest umklammert. Er war total hin und weg. Sandras Gesicht war von etlichen Drinks gerötet, und der Lärm schien sie zu verwirren.
    Sie waren vor dem Stundenwechsel nicht mehr aus dem Club herausgekommen, und Mary fühlte sich jetzt ein wenig gefangen. Ernest war noch in Ekstase, weil sie ihm verziehen hatte, und es gefiel ihr nicht, wie er sich ihr gegenüber verhielt: verliebt und unterwürfig. Sandra wirkte in diesem irdischen Tumult deplaziert; Mary konnte sich eher vorstellen, wie sie aus einer Höhe von tausend Klicks herabschaute, den Kopf voller technischer Details, als daß sie in einen Shanghai-Springtanz hineinwirbelte.
    Trotzdem fühlte sie sich insgesamt gut. Gefangen oder nicht, sie konnte keinen Gedanken lange genug weiterspinnen, um eine schlechte Erinnerung heraufzuholen; und sie spürte, wie sich die Schlechtigkeit, die sich während der letzten Woche in ihrem Gehirn und ihren Muskeln zusammengeballt hatte, in diesem Lärm und dem fröhlichen, trunkenen Durcheinander langsam löste.
    Ernest ließ sie los und wirbelte in den Springtanz hinein. Er sprang geschickt über die eindrucksvollen Schultern eines Transformierten hinweg, hob dankend die Hände und kam mit einem breiten Lächeln und leuchtenden Augen zu ihr zurück. »Ein gutes Omen fürs neue Jahr«, sagte er.
    Sandra lächelte distanziert. Ihr Blick ruhte auf zwei nichttransformierten Männern –

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