Königin des Lichts: Drei Romane in einem Band (German Edition)
würde sie, und wenn nötig auch verführen. Von innen würde sie die Festung nehmen, während die Armee, die Gwayne drillte, die Stadtmauern stürmte.
Es war eine lange Reise, aber sie war dankbar für den Aufschub. Sie nutzte die Zeit, um ihr Auge zu schärfen, ihren Mut zu sammeln, ihren Willen zu stählen.
Die Felder waren grün und scherten sich nicht darum, wer an der Regierung war. Aber die Furcht, das Misstrauen und der Zorn in den Augen der Männer, die ihnen auf der Straße begegneten, waren ihr nicht entgangen. Sie hatte die Krähen an den Knochen der Unglücklichen picken sehen, die Räubern oder Lorcans Bluthunden zum Opfer gefallen waren.
Kinder mit vom Hunger gezeichneten Gesichtern bettelten um Nahrung oder Geld. Sie sah die Ruinen niedergebrannter Häuser und die verzweifelten Gesichter der Frauen, denen kein Mann geblieben war, um sie zu beschützen.
Wo hatte sie früher ihre Augen gehabt? War sie so damit zufrieden gewesen, durch den Wald zu laufen und in den Hügeln zu singen, dass ihr die tiefe Verzweiflung ihres Volkes entgangen war, das Elend, in dem das Land versank?
Wenn nötig würde sie ihr Leben dafür geben, dieses Unrecht zu beseitigen.
»Es ist merkwürdig, Großvater in diesen prächtigen Kleidern zu sehen«, verkündete Cyra.
»Du darfst ihn nicht ›Großvater‹ nennen.«
»Ich weiß. Hast du Angst, Aurora?«
»Ja, aber auf eine gute Art, weil ich spüre, dass etwas geschehen wird.«
»Du siehst schön aus.«
Aurora lächelte und unterdrückte den Wunsch, an dem einengenden Kleid zu zupfen. »Für mich ist das nur eine Waffe, derer ich mich bedenkenlos bedienen werde. Eine Prise Zauberkraft und … er wird mich nicht übersehen, diese Ausgeburt der Hölle, oder? Er wird mich begehren, nicht wahr?«
»Jeder Mann würde das.«
Aurora nickte zufrieden. Während er sie begehrte, würde sie sich nach einem anderen umsehen. Sie würde ihren Wolf suchen.
Er war dort und wartete. Sie spürte es in ihrem Blut. Mit jeder Meile, die sie zurücklegten, wurde dieses Gefühl deutlicher.
Endlich würde sie ihren Liebsten finden, in der Stadt der Sterne.
Und ihr Schicksal.
»Oh, sieh doch!« Cyra hüpfte aufgeregt im Sattel auf und ab. »Die Stadt. Sieh doch nur, wie die Türme glänzen!«
Aurora erkannte in der Ferne die silbern und golden schimmernden Umrisse. Die prächtigen Türme der Burg funkelten im Licht, und auf dem obersten flatterte die schwarze Fahne mit der sich windenden roten Schlange.
Brennen würde sie, schwor sie sich, zu Asche sollte sie zerfallen. Stattdessen würde erneut das Wappen ihrer Familie über der Stadt wehen: der goldene Drache auf dem weißen Grund.
»Zwanzig Mann auf den Stadtmauern«, sagte Rohan leise, während er sein Pferd unauffällig an ihre Seite trieb.
»Ja, ich sehe sie. Und noch mehr an den Stadttoren. Mit Sicherheit hat er zudem eine Leibwache und Posten an den Burgtoren. Manche werden die Flucht ergreifen, wenn Lorcan fällt, andere werden sich uns anschließen. Aber einige werden bestimmt kämpfen. Wir müssen die Burg bis in den letzten Winkel erkunden. Gwaynes Zeichnungen sind eine gute Grundlage, aber vermutlich hat Lorcan im Laufe der Jahre Veränderungen vorgenommen.«
»Mit dem Schweiß und Blut des Volkes«, stimmte Rohan zu. »Prunkgemächer und verstärkte Mauern.« Am liebsten hätte er ausgespuckt, aber er beherrschte sich. »All die Pracht kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass er die Stadt der Sterne in eine Schlangengrube verwandelt hat.«
»Und die wird ihm zum Grab werden.«
Betont gelangweilt dreinblickend, nahm sie alles in sich auf, als sie durch die Tore in die Stadt ritten.
In den Ställen striegelte Thane die Rotschimmelstute. Er arbeitete allein, und die Plackerei nahm kein Ende. Doch daran war er gewöhnt, an die schmerzenden Muskeln, die müden Knochen am Ende des Tages.
Er hatte gelernt, seine Einsamkeit zu schätzen.
Dass er die Pferde liebte, blieb sein Geheimnis. Wenn Owen und Lorcan davon erfuhren, würden sie ihm die Ställe und die dämmrige Stille nehmen, die ihm einen gewissen Frieden brachte. Sie würden eine andere Schinderarbeit für ihn finden, so etwas gefiel den beiden. Auch daran war er gewöhnt.
Schon sehr früh im Leben hatte er lernen müssen, seine
Worte und Überzeugungen für sich zu behalten, seine Arbeit zu tun, nichts zu erwarten – außer vielleicht einen Stiefeltritt in den Hintern. Solange er sein Temperament, seine Wut, seinen Hass im Zaum hielt, ließ man ihn
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