Königin für neun Tage
geeignet, eine Armee nach Norden zu führen.«
Jane stand auf und trat vor Henry Grey. »Ihr seid Unser Vater«, sprach sie formell. »Wir haben wichtigere Aufgaben für Euch.«
»Etwa die Einrichtung von Schulen? Pah! Ihr werdet keine Schulen mehr brauchen, wenn es Mary gelingt, nach London zu kommen!«, höhnte Dudley.
»Mylord Dudley, Ihr vergesst Euch!«, wies ihn Jane scharf zurecht. »Vater,
Wir
verlangen, dass Ihr bei Uns bleibt!«
Beherzt trat Guildford einen Schritt nach vorne. »Jane, man sagt, mein Vater sei ein ehrenhafter Mann.«
Jane runzelte die Stirn. »Nun ja, das mag dahingestellt sein. Was willst du damit sagen?«
»Er hat dich zur Königin gemacht. Dann kann er jetzt beweisen, was ihm das wert ist. Lass ihn deinen Thron verteidigen!«
Zornig hob John Dudley die Hand, bereit, seinem Sohn eine Ohrfeige zu verpassen. Im letzten Moment besann er sich und holte tief Luft. Fest presste er die Lippen aufeinander. Er und Guildford maßen sich in einem Schlagabtausch mit den Augen.
»Mylord, ich bin bereit, ein entsprechendes Dokument zu unterzeichnen, in dem steht, dass Unser geschätzter Lordprotektor John Dudley, Herzog von Northumberland, eine Armee nach Schloss Framlingham führen wird.«
Dudley zögerte keinen Moment. Er wusste, wann er verloren hatte. »Ich bin Euer Diener, Euer Gnaden.«
Jane senkte wohlwollend den Kopf. »Dann wünschen Wir Euch viel Erfolg.«
Jane, die ursprünglich vorgehabt hatte, Lady Mary die Krone zu übergeben, sah ein, dass ein Kampf unabänderlich war. König Henrys älteste Tochter hatte zu den Waffen gegriffen, eine gütliche Einigung schien nicht mehr möglich zu sein. Nun blieb Jane nichts anderes übrig, als abzuwarten. Bis dahin verschwendete sie allerdings keine Zeit, das Unrecht, das ihrer Meinung nach im Land und an den Menschen begangen worden war, wieder gutzumachen.
Am nächsten Tag gab sie den entsprechenden Befehl, inhaftierte Männer freizulassen. Der Herzog von Pembroke musste ihr berichten, wer alles in den Verliesen des Towers sein Dasein fristete: »Sir Thomas Holcroft. Inhaftiert mit dem Herzog von Somerset wegen Verrats …«
»Freilassen!«, befahl Jane.
»Aber Euer Gnaden! Er ist ein Verräter …«
»Freilassen!«, wiederholte Jane. »Weiter?«
Pembroke zögerte, seine Kiefergelenke mahlten aufeinander. Dann las er weiter: »Der Bürgermeister von Norwich, inhaftiert von Mylord Northumberland wegen …«
»Freilassen.« Jane interessierte es nicht, warum John Dudley den Bürgermeister hatte in den Kerker werfen lassen. Ihr war zu Ohren gekommen, dass Dudley jeden, der mit ihm nicht völlig einer Meinung war, beiseite räumte. Sie wagte gar nicht daran zu denken, wie viele treue und rechtschaffene Männer in den letzten Jahren auf dem Schafott ihr Leben gelassen hatten, nur weil sie dem Herzog von Northumberland unbequem gewesen waren. Nun, an dem begangenen Unrecht konnte sie nichts mehr ändern, aber sie konnte versuchen, kein neues zu begehen.
»Der Nächste!«, befahl sie.
»Lord William MacIntyre, ein Schotte, der …«
»Auch er – freilassen!«
Pembroke räusperte sich dezent. »Euer Gnaden, bei allem Respekt, ich muss darauf bestehen, dass dieser Mann als Spion aus Schottland hier eingeschleust wurde und …«
Erneut erhielt der Herzog keine Möglichkeit, seinen Satz zu beenden.
»Ich denke nicht, dass ein einzelner Mann es schafft, die Grundfesten unseres Landes zu erschüttern. Nichts, was Wir in Zukunft tun werden, ist unredlich und muss verborgen werden. Oder seht Ihr das anders, Mylord?«
»Natürlich nicht«, knirschte der Herzog.
»Nun gut, dann also weiter …«
So ging es den ganzen Tag. Am Abend trafen sich die Herzöge Pembroke und Shrewsbury mit Henry Grey und Guildford Dudley.
»Lord Guildford, ich habe den Eindruck, Eure Frau tanzt nicht nur uns, sondern auch Euch auf der Nase herum!«, wurde Guildford von seinem Schwiegervater scharf zurechtgewiesen. »Sagtet Ihr nicht, Jane sei Wachs in Euren Händen? Nun, davon ist nichts zu bemerken.«
Hilflos hob Guildford die Hände. »Mylords, Jane verfügt über eine äußerst eigensinnige Wesensart. Niemand konnte ahnen, dass sie die Aufgabe, Königin zu sein, so ernst nimmt.«
Shrewsbury lachte zynisch. »Ich gebe zu, wir alle dachten, sie ergehe sich in schönen Kleidern, Juwelen und prunkvollen Festen. Mein Gott, sie ist doch nur ein Kind, das mit seiner Krone spielen und nicht sie benützen sollte.«
»Wir haben uns offenbar getäuscht«, murmelte Henry Grey. Er fühlte sich von
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