Königin für neun Tage
nach dem anderen verließ den Thronsaal. Einzig die Wachen blieben unbeweglich an den Seiten stehen.
Henry Grey trat an Dudleys Seite. »Seid Ihr nun zufrieden, John?«
»Ich schätze, Eure Tochter ist unserem Einfluss in den letzten Wochen etwas entglitten«, brummte Dudley. »Offenbar war mein Sohn zu sanft mit ihr.«
»Jane hatte schon immer einen starken Willen«, mischte sich Frances Grey ein. »Aber dieser Wille kann gebrochen werden. Lasst das Mädchen sich ein paar Tage in dem Glanz, Königin von England zu sein, sonnen. Befolgt ihre Befehle, und lasst sie Befehle geben. Früher oder später wird sie dessen müde werden, dann liegt die Macht wieder in unserer Hand.«
»In meiner Hand, liebe Lady Frances«, wies sie Dudley scharf zurecht, was ihm einen erstaunten Blick von Henry Grey und einen zornigen von dessen Frau einbrachte. »Da Eure Tochter noch minderjährig ist, untersteht sie in allem, was sie tut, dem Willen ihres Ehemanns. Zudem hat König Edward
mich
zum Lordprotektor bestimmt.«
Henry Grey senkte sein Haupt und sagte bitter: »Mylord Northumberland, Ihr habt wie immer Recht.«
Dann zog er sich zurück, Frances folgte ihm wütend. Bis jetzt war alles nach Plan gelaufen, dennoch verspürte Henry Grey ein ungutes Gefühl.
Am nächsten Vormittag passte sich das Wetter Janes trüber Stimmung an. Antonia wurde es erlaubt, Frances Grey beim Ankleiden von Jane zu helfen. Es ergab sich jedoch keine Gelegenheit zu einem Gespräch. Janes Gewand war in den Tudorfarben gehalten: grün-weißer Brokat, mit Goldfäden bestickt. Ein Diadem aus Smaragden, Diamanten, Rubinen und Perlen wurde ihr auf das lange, offene Haar gesetzt. Guildford, ganz in Weiß und Gold gekleidet, saß neben ihr, als die Barke den Fluss hinunter zum Tower fuhr, wo Jane die königlichen Gemächer beziehen sollte. Nebel lag über dem Fluss, als sie die schlichte Barke bestieg. Keine Trompeten und keine Fanfaren begleiteten den Zug. Wieder stand die Bevölkerung schweigend am Ufer. Im Tower führte man Jane auf die Zinnen des White Towers. Als die Tore geöffnet wurden, drängte sich eine Menschenmenge in den Hof. Nun endlich erklangen Fanfarenstöße, und der Ausrufer trat auf die Zinnen. Unmittelbar neben ihm hielt sich John Dudley, ganz so, als müsse er aufpassen, dass der Ausrufer den richtigen Text von seinem Pergament ablas.
»Durch die Gnade Gottes und den Willen seines ergebenen Dieners Edward – er möge in Frieden ruhen – wird Jane zur Königin von England, Irland und Frankreich ausgerufen. Mit allen Würden und Rechten, die dazu gehören: Verteidiger des Glaubens und Oberhaupt der Kirche von England.«
Plötzlich ging eine Bewegung durch die Menschenmenge. Unmutsbekundungen wurden laut, erst war es ein allgemeines Gemurmel, dann waren einzelne Worte zu verstehen.
»Wo ist Prinzessin Mary?«
»Warum wird sie nicht Königin?«
»Das ist Betrug!«
Entschlossen trat Dudley einen Schritt nach vorne. »Lasst den Hof räumen!«, befahl er der Wache, die gleich darauf die Menschen aus den Mauern drängte. Er hatte mit Widerstand gerechnet, wenn aber alles nach Plan lief, würde sich das Volk früher oder später der neuen Regelung fügen.
Als die Zeremonie vorbei und Jane nun auch vor dem Volk öffentlich zur Königin proklamiert war, suchte sie den Raum auf, in dem der Thronrat tagte. Die Herren erhoben sich bei ihrem Eintritt und senkten die Köpfe. Jane entging nicht, dass John Dudley dies mit deutlicher Verzögerung tat.
»Mylords, hier ist eine Liste mit Unseren Wünschen«, sagte sie kühl. Sie hatte sich während der letzten Nacht, in der sie keine Minute Schlaf gefunden hatte, alles gut überlegt. Wenn es wirklich Edwards Wille gewesen war, das Land in ihre Hände zu legen, so wollte sie dieses Erbe würdevoll antreten und England in Edwards Sinn leiten und regieren. Dazu gehörte an erster Stelle die Beseitigung der Armut. Jane hatte den gebrandmarkten Bettler und all die anderen bedauernswerten Menschen in Bringham nicht vergessen.
Jane ging zu Dudleys Platz und setzte sich. Dem Lordprotektor blieb nichts anderes übrig, als zurückzutreten. Jane entrollte das Pergament und begann vorzulesen:
»Wir wünschen als Erstes, die Gesetze abzuschaffen, nach denen Unglücklichen, die durch äußere Umstände zur Bettelei gezwungen sind, ein Zeichen in die Brust gebrannt wird.« Jane ignorierte das Raunen der Männer und fuhr fort: »Zweitens verfügen Wir die Rückgabe aller Ländereien und Besitztümer, die sich Unser Großonkel
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