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Königin für neun Tage

Königin für neun Tage

Titel: Königin für neun Tage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Michéle
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Wenn der legitime Sohn und Erbe Lord Thomas’ gestorben war, wer war denn er? Vielleicht der Spross von Zigeunern oder Landstreichern?
Anthony rechnete mit allem, aber nicht mit der Geschichte, die Lady Margaret ihm nun erzählte: An dem heißen Tag, an dem ein furchtbares Unwetter niedergegangen war, hatte sie zwei Kinder geboren – Zwillinge. Ein Junge erblickte zuerst das Licht der Welt, und Lord Thomas war danach sofort aufgebrochen, alles für eine großartige Tauffeier vorzubereiten. Doch der Junge starb, nur das Mädchen überlebte. Es wurde in Tücher gewickelt, die sein Geschlecht verbargen. An der Taufe trug es das Gewand unzähliger männlicher Fentons, so dass niemand auf die Idee kam, einem Mädchen die Ehre zu erweisen. Ein glücklicher Zufall wollte es, dass Lord Thomas unmittelbar nach der Taufe mit dem Heer des Königs nach Frankreich aufbrach und dort die nächsten Jahre verbrachte. Nachdem König Henry einen weiteren Frieden mit dem französischen König ausgehandelt hatte, war Thomas Fenton für weitere vier Jahre als Vasall am Hofe von König Franz zurückgelassen worden.
»Als dein Vater nach langer Zeit heimkehrte, wollte er als Erstes seinen Sohn sehen. Du warst mit deinen kurzen Haaren ein entzückender Junge, und dein Vater war überglücklich, als er dich auf einem Pony sitzen sah. Meine Stellung als Ehefrau war gesichert. Wie hätte ich ihm die Wahrheit sagen sollen?«
»Dann bin
ich
… das Mädchen?« Anthony schloss die Augen und schüttelte ungläubig den Kopf. Er glaubte sich in einem Albtraum gefangen. Ganz sicher würde ihn Ellen gleich wecken, doch es erschien keine Kinderfrau, um ihn zu erlösen. Als Anthony die Augen wieder öffnete, sah er direkt in das verzweifelte und eingefallene Gesicht seiner Mutter.
»Die Menschen sehen immer nur das, was sie sehen wollen«, fuhr Lady Margaret fort. »Da jedermann dachte, du
wärst
Anthony, kam niemand je auf die Idee, dass es nicht so sein könnte. Zudem war das Schicksal gnädig und stattete dich mit einem hohen Wuchs und bisher mit wenig weiblichen Formen aus.«
Anthonys Knie gaben nach, und er ließ sich zu Boden fallen. Dabei verhedderte sich eine Dornenranke in seinem Wams, und es gab ein unangenehmes Geräusch, als der Stoff am Rücken einriss. Weder Anthony noch Lady Margaret zollten dem Schaden Aufmerksamkeit. Für Anthony war in diesem Moment viel mehr als nur ein Wams zerrissen. Sein ganzes Leben wurde auf den Kopf gestellt, nichts war mehr so wie am Morgen, als er in Vorfreude auf den neuen Tag erwacht war.
»Wie ist denn mein Name? Ich kann als Mädchen doch nicht Anthony heißen.«
Ein Seufzer löste sich aus Lady Margarets Kehle. »Tatsächlich bist du auf den Namen
Anthony
in der heiligen Kirche und vor Gott getauft worden. Zwar habe ich versucht, die Tatsache, dass du kein Junge bist, zu verdrängen, doch oft habe ich dich heimlich beobachtet und dich dann in Gedanken zärtlich
Antonia
genannt. Natürlich kam dieser Name niemals über meine Lippen, es wäre zu gefährlich gewesen.«
»Antonia …« Langsam ließ Anthony diesen Namen auf der Zunge zergehen. Er klang ungewohnt, aber nicht unangenehm. Plötzlich war es, als wäre der Schleier von ihren Augen genommen worden, und sie sah klar. All die Veränderungen in ihrem Körper wurden erklärbar, sie wusste, dass es keine Laune der Natur war, dass sie bisher noch keinen Bartwuchs hatte und ihr langsam, aber sicher Brüste wuchsen.
Lady Margaret fasste ihre Gedanken in die richtigen Worte: »Durch Sir Normans Erscheinen ist unser Lügengebilde dem Einsturz preisgegeben. Ellen, die von Anfang an eingeweiht war, und ich waren uns dessen sicher, dass deine Identität früher oder später ans Licht kommen wird, nur haben wir die Gedanken daran immer verdrängt. Nun bleibt uns nur noch die Flucht, denn der Zorn meines Gatten wird uns in einer furchtbaren Art und Weise treffen. Ich wage nicht, mir seine Reaktion vorzustellen, wenn Sir Norman ihm die Wahrheit berichtet. Ja, ich traue Thomas zu, dass er uns aus Fenton Castle verjagen, wenn nicht sogar töten wird.«
Fröstelnd zog Antonia die Schultern zusammen. So sehr die Beichte der Mutter sie überrascht hatte, so sehr fühlte sie sich auch erleichtert. Sie hatte schon lange bemerkt, dass sie mit den Männern, die sie kannte, so gar nichts gemein hatte. Wie sollte sie auch, sie war schließlich eine Frau! Plötzlich fühlte sie sich wie von einer Zentnerlast befreit. Mit ihrem Körper war alles in Ordnung, sie litt an keiner

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