Königin für neun Tage
verantwortlich zu sein, bereitete Norman nicht mehr Furcht, sondern machte ihn stolz. Immer öfter hatte er das Gefühl, Antonia beschützen zu müssen, wenn er auch nicht wusste, vor wem, denn sie waren hier in Schottland in Sicherheit. Zudem hatte Antonia wiederholt bewiesen, dass sie vor nichts und niemandem Angst hatte. Norman konnte es sich nicht mehr vorstellen, eines Tages von Antonia getrennt zu sein. Sie gehörte zu seinem Leben wie seine Gliedmaßen zu seinem Körper. Allerdings gab es bei der ganzen Sache ein Problem: Antonia ließ keinen Zweifel daran, dass sie die Scheinehe bei der ersten sich bietenden Gelegenheit aufzuheben gedachte.
»Vielleicht können wir eines Tages nach England zurückkehren«, sagte sie auch an diesem Abend, als sie bei einem Kartenspiel in Antonias Zimmer zusammensaßen.
»Nur, wenn Königin Mary stirbt«, antwortete Norman trocken. »Fehlt dir das Leben am Hof?«
Antonia schaute auf, zog grübelnd ihre Stirn kraus und schüttelte dann den Kopf. »Ich glaube nicht. Wie du weißt, wuchs ich in der Abgeschiedenheit des Landes auf. Auch in Janes Elternhaus lebten wir sehr zurückgezogen. Das Einzige, was mir hier fehlt, sind Bücher. Die Bibliothek deines Onkels ist recht schwach bestückt.«
Norman legte die Karten zur Seite und lehnte sich zurück. »Es erscheint mir selbst seltsam, dass ich mit dem Leben hier recht zufrieden bin. Nun, manchmal wünsche ich mir schon, mal wieder zu tanzen, Scharaden zu veranstalten oder auf die Jagd zu gehen. Wobei wir sicher jagen werden, wenn der Winter vorbei ist. Früher dachte ich, ich würde in einer solchen Einsamkeit verrückt werden, aber jetzt habe ich ja ...« Er brach ab. Beinahe hätte er gesagt: »Ich habe ja dich«, doch das durfte Antonia nicht wissen. Er würde sich nicht so weit erniedrigen und zugeben, dass er sich in ihrer Gesellschaft wohl fühlte und dass er sie vermisste, wenn er sie den ganzen Tag nicht sah.
Antonia ließ keine Gelegenheit verstreichen, ihm vor Augen zu halten, wie ungern sie mit ihm verheiratet war. »Du wolltest sagen, dass du ja schließlich die Aussicht auf ein reiches Erbe hast?«, interpretierte Antonia seine Worte auch bereits falsch. »Dafür kann man schon auf gewisse Annehmlichkeiten verzichten und den braven Neffen spielen, oder?«
»Antonia, jetzt bist du ungerecht!«, begehrte Norman auf. »Ich mag den alten Kauz wirklich gerne. Wir dürfen nicht vergessen, dass er uns in sein Haus aufgenommen hat, obwohl er nichts über uns wusste. Alles in allem betrachtet, führen wir hier ein recht angenehmes Leben, oder? Uns hätte ein schlimmeres Schicksal erwarten können.«
Antonia musste ihm zustimmen, er hatte ja Recht. Norman brauchte sie nicht daran zu erinnern, dass sie ohne seine Hilfe längst ebenso tot wäre wie ihr Vater. Trotzdem haderte sie mit ihrem Schicksal. In den letzten Wochen hatte sie sogar mit Nähen und Sticken begonnen. Es gab von Laurel Mercats letzter Frau sehr viele Kleider, die sich Antonia auf ihre Figur geändert hatte. Zudem hatte sie Truhen voller Stoffballen gefunden, aus denen sie Vorhänge und Tischdecken nähte. Ihre Stiche waren zwar immer noch nicht von vollendeter Perfektion, so manche Naht auch etwas krumm, dennoch verschönten ihre Arbeiten nach und nach die kahlen Räume der Burg. Tief im Inneren wusste Antonia, wonach sie sich sehnte. Daran war der Laird mit seinen Bemerkungen, einen Großneffen zu bekommen, nicht unschuldig. Antonia hätte gerne ein Kind gehabt. Ein kleines Wesen, dem sie ihre ganze Liebe schenken konnte, die sonst niemand wollte, am wenigsten Norman. In Anwesenheit seines Onkels behandelte er sie zwar mit Respekt, überschüttete sie manchmal beinahe mit Aufmerksamkeiten, aber Antonia wusste, dass alles nur gespielt war. Sie versuchte, ihr Herz davor zu bewahren, von Norman verletzt zu werden, trotzdem sehnte sie sich nach seiner Gegenwart, war glücklich über die Stunden, die sie gemeinsam verbrachten. Wie schön wäre es, ein Kind in den Armen halten zu können! Aber dazu gehörte, dass zwischen Norman und ihr die letzte Barriere fiel, und sie würde sich ihm niemals wieder anbieten! Noch einmal konnte sie es nicht ertragen, von ihm zurückgewiesen, wahrscheinlich sogar ausgelacht zu werden. Immer wieder sagte sich Antonia, dass Normans Freundlichkeit nur darauf gründete, dass der Laird ihn als Erben einsetzen wollte. Es gab zwar Augenblicke, in denen Antonia meinte, in Normans Blick Bewunderung, manchmal sogar gemischt mit einer Spur
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