Königin für neun Tage
sich Mary sofort verliebt hatte, als man ihr sein Porträt präsentierte. Vor vier Wochen war Seine Exzellenz, der spanische Botschafter, in London angekommen und hatte Mary den Antrag des Königs offeriert, seinen Sohn mit ihr zu vermählen. Mary hatte keinen Augenblick gezögert und die Tatsache, dass Prinz Philipp elf Jahre jünger war als sie selbst, einfach beiseite geschoben. Seitdem fieberte Mary dem Tag entgegen, an dem Philipp endlich nach England kommen würde, um mit ihr getraut zu werden. Am liebsten wäre sie mit dem nächsten Schiff nach Spanien aufgebrochen, hätte jedem Sturm auf See getrotzt, um endlich bei ihrem Verlobten zu sein. Aber in der derzeitigen politischen Lage, die in England herrschte, konnte sie ihr Land nicht allein lassen. Außerdem war sie eine Frau, und es gebührte sich nicht, einem Mann nachzulaufen, auch wenn es der zukünftige Ehemann war …
»Sind seine Augen wirklich so schön wie auf dem Bild?«, fragte sie den Botschafter.
Dieser verneigte sich elegant. »Noch viel schöner, Euer Gnaden, wenn der Prinz lächelt.«
Der Botschafter hielt es für nicht notwendig zu erwähnen, dass Prinz Philipp nur äußerst selten lächelte. Die meiste Zeit verbrachte er im Gebet kniend im Palast von Escorial und mied jegliche Vergnügungen wie Musik und Tanz.
Ein schwärmerischer Schimmer trat in Marys Augen, als sie sagte: »Unsere Kinder werden wunderschön werden, und sie werden einmal die Welt beherrschen.«
Erneut senkte der Botschafter den Kopf, er hatte seine Gesichtszüge gut unter Kontrolle. Auf keinen Fall würde er der Königin sagen, was Philipp ausgerufen hatte, als man ihm das Porträt Marys zeigte: »Ich bete, dass es mir gelingt, diese alte, vertrocknete Mähre zu besteigen und ihr einen Sohn zu machen. Aber ich tue es für die heilige römische Kirche. Dabei wird Gott an meiner Seite stehen und mich das große Opfer ertragen lassen.«
Prinz Philipp hatte einzig und allein dem Wunsch seines Vaters zugestimmt, die englische Königin zu heiraten, weil dieser ihm nicht nur die ewige Seligkeit, sondern auch die Krone Spaniens versprochen hatte, wenn England wieder katholisch werden würde. Auf keinen Fall hatte Philipp jedoch vor, länger als nötig in dem kalten und unkultivierten nordischen Land zu verweilen. Er würde seiner Pflicht nachkommen und sich dann wieder ganz seinen Gebeten widmen.
»Euer Gnaden, leider spricht noch ein anderer Umstand gegen eine Abreise meines Herrn«, sagte der Botschafter.
Mary starrte ihn mit zusammengekniffenen Augen an. Es war offensichtlich, dass sie stark kurzsichtig war. »Und der wäre?«
»Der Prinz fürchtet um sein Leben, wenn er einen Fuß auf englischen Boden setzt.«
»Um sein Leben? Aber warum das? Mein Volk wird seinen zukünftigen König jubelnd begrüßen!«
Erneut verzichtete der Botschafter darauf zu erwähnen, dass es in den Straßen Londons bereits zu Protesten gegen diese Ehe gekommen war. Das englische Volk hatte den Willen des großen Königs Henry akzeptiert, seine Tochter Mary auf den Thron gesetzt und war damit zum Katholizismus zurückgekehrt, aber es schien keinesfalls bereit, einen fremden katholischen König auf dem Thron zu dulden. Immer wieder kam es zu Protestkundgebungen, die von den Soldaten blutig niedergeschlagen wurden. Offenbar verschloss Mary ihre verliebten Augen vor den Tatsachen, dachte der Botschafter spöttisch.
»Euer Gnaden, auch möchte der Kaiser seinen Sohn nicht nach England schicken, solange noch jemand von
denen
am Leben ist.«
Er brauchte nicht zu sagen, wen er mit
denen
meinte. Mary wusste es auch so, und sie seufzte.
»Der Kronrat hat alles unter Kontrolle. Sie sind alle eingekerkert oder stehen unter strengem Arrest. Der Rädelsführer der Verschwörung, John Dudley, ist längst hingerichtet worden.«
»Aber Lady Jane, ihr Ehemann und ihr verräterischer Vater leben noch«, mahnte der Botschafter.
Mary schritt die Stufen zum Thronsessel empor und setzte sich ächzend, wobei sie sich bemühte, sich nichts anmerken zu lassen. Seit einigen Tagen machten ihr wieder Schmerzen in den Hüftgelenken zu schaffen, aber das brauchte der Botschafter nicht zu wissen.
»Die genannten Personen befinden sich unter ständiger Bewachung im Tower. Ihr habt die Anlage mit eigenen Augen gesehen, Exzellenz, und Euch davon überzeugen können, dass eine Flucht aus diesen Mauern unmöglich ist.«
Unmerklich rollte der Botschafter mit den Augen. War dieses Weib so dumm, oder stellte sie sich nur so an? Kaum zu
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