Königin für neun Tage
London eine hübsche junge Gattin auf ihn warten könnte, zog sich ihr Herz schmerzhaft zusammen. Sie presste fest die Zähne aufeinander, bis ihre Kiefergelenke schmerzten. Sir Normans Privatleben hatte für sie nicht von Interesse zu sein. Sie war sein Knappe, weiter nichts! Außerdem würde sie Lord Fenton ihre wahre Identität so schnell wie möglich zu erkennen geben und damit Norman Powderham niemals wiedersehen.
»Pitschi … büüü …«
Die grunzenden Laute ließen Antonia wieder aus ihren Gedanken auffahren. Nein, an Schlaf war wirklich nicht zu denken! Sie verschränkte die Arme unter dem Kopf und starrte in die Dunkelheit. Wie würde ihr weiteres Leben als Frau aussehen? Würde ihr Vater einen Mann für sie auswählen? Später vielleicht, denn jetzt war sie für eine Ehe noch viel zu jung. Vielleicht würde er ihr auch gestatten, ihre Ausbildung in Kampfeskunst auf Fenton Castle fortzuführen. Antonia fühlte sich hin und her gerissen. Nein, eigentlich wollte sie nicht das Leben einer Frau führen, sondern lieber als Knappe in Normans Nähe bleiben und eines Tages vielleicht mit ihm in den Kampf ziehen. Aber die Schwierigkeiten, ihre Weiblichkeit vor ihm zu verbergen, zeigten sich ja bereits an den ersten zwei Tagen ihrer Reise. Nun, ihr blieb nichts anderes übrig, als abzuwarten, wie die Dinge sich entwickeln würden.
Ein Rütteln an der Schulter riss Antonia unsanft aus dem Schlaf.
»Hol mir Wasser und das Frühstück!«, befahl Sir Norman. »Künftig wünsche ich, von dir geweckt zu werden.«
Wie von einer Nadel gestochen fuhr Antonia in die Höhe. Es gelang ihr gerade noch, die Decke vor ihre Brust zu pressen. Der Morgen graute bereits durch die Fensteröffnung, denn Norman hatte den Laden geöffnet. Mit grimmigem Gesicht stand er breitbeinig vor ihr. Wenigstens war er so anständig gewesen, seine Hose anzuziehen, so dass Antonia nur auf die bronzefarbene Haut seiner nackten Brust starren musste. Sie war doch tatsächlich eingeschlafen! Wie hatte ihr das nur passieren können?
»Sofort, Sir«, beeilte sie sich zu sagen und zog die Decke noch enger um sich. »Wenn ich mich nur kurz anziehen dürfte …«
Sir Norman schüttelte sich wie ein nasser Hund. »Und dabei soll ich dich allein lassen, nicht wahr?« Mit ironisch nach oben gezogen Brauen musterte er seinen Knappen. »Nun gut, ich gehe mich mit den anderen Männer waschen. Hinter dem Haus ist ein Brunnen. Aber wenn ich zurückkomme, erwarte ich, dass du für das Frühstück gesorgt hast.«
Rums! Mit einem Knall fiel die Tür hinter ihm zu. Antonia warf die Decken beiseite und beeilte sich, ihre Brüste wieder mit dem Leinentuch zusammenzuschnüren, dann schlüpfte sie in ihre Sachen. Die Kleider waren immer noch feucht. Ich hätte sie heute Nacht neben das Feuer hängen sollen, dachte Antonia, aber jetzt blieb ihr keine andere Wahl, als die klammen Sachen wieder anzuziehen.
Draußen schien wieder die Sonne, und Antonia erhielt von Roger eine Portion kaltes Fleisch und verdünntes Bier, das sie aus dem Schlauch in den Becher schenkte, den Sir Norman im Gepäck mit sich führte. Als er in die Kate kam, das Haar nass von der Wäsche, reichte sie ihm das Essen. Er würdigte sie keines weiteren Blickes, so dass Antonia zu Roger ging, um auch etwas zu essen. Dann wurden die Pferde gesattelt, und sie setzten ihre Reise fort.
Am letzten Abend, bevor sie am darauf folgenden Tag Hampton Court erreichen würden, rastete die Gruppe in einem Gasthaus. Über der Tür des lang gestreckten, zweigeschossigen Fachwerkbaus baumelte ein Holzschild mit einem Hirsch und dem irreführenden Namen
Wild Rabbits
. Antonia schwang sich aus dem Sattel und streckte ihre verknoteten Glieder. Sie war hungrig und von der Reise erschöpft, verspürte gleichzeitig aber eine große innere Ahnung, wenn sie daran dachte, am nächsten Tag vor ihrem Vater zu stehen.
Der Wirt und seine dicke Frau, auf deren Schürze Antonia die Speisekarte ablesen konnte, begrüßten die Ankömmlinge mit tiefen Verbeugungen. »Seid gegrüßt, Herr. Wie schön, dass Ihr unserem bescheidenen Haus erneut die Ehre gebt.«
Norman Powderham blinzelte Antonia kurz zu. »Auf der Reise nach Devon haben wir hier bereits Rast gemacht«, raunte er. »Es ist zwar nicht das beste Haus, aber es hat durchaus seine Vorzüge.«
Welche Sir Norman damit meinte, konnte Antonia wenig später feststellen. Das Essen war einfach, das Bier dünn und geschmacklos, aber die Tochter der Wirtsleute schien diese Mängel in Normans
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