Königin für neun Tage
Danach sprang auch er vom Pferd und griff nach seinem Schwert. Während der andere mühsam aufgerichtet wurde und um sein Gleichgewicht kämpfte, setzte Sir Norman ihm die Schwertspitze an die Kehle. Der immer noch schwankende Ritter hob die rechte Hand, das war das Zeichen seiner Aufgabe. Jubel erhob sich auf den Rängen, während Sir Norman in sein Zelt zurückkehrte.
»Rasch, helft mir in die andere Rüstung!«, wies er die Knappen an, die ihn sofort auszogen, und Antonia kam nicht umhin, wiederum seinen kräftigen Körper zu bewundern. Sir Norman wurde eine andere, etwas leichtere Rüstung angelegt. Er sollte jetzt gegen die Sieger aus den vorherigen Durchgängen kämpfen. Zuvor jedoch unterhielten Ring-und Faustkämpfe das Publikum, ausgetragen von kräftigen Burschen aus dem Volk. Bei diesen Kämpfen ging es deutlich härter zu, es gab zahlreiche aufgeplatzte Lippen und ausgeschlagene Zähne. Antonia wandte sich von der derben Unterhaltung ab und polierte an Sir Normans ehemaliger Rüstung herum, obwohl diese blitzblank war.
Nach einer kurzen Pause wurden wieder die Ritter auf den Platz gerufen. Inzwischen hatte der Regen aufgehört, doch der Grasplatz hatte sich unter den Hufen der Pferde und den schweren Stiefeln der Männer in eine noch schlimmere Schlammwüste verwandelt.
Hocherhobenen Hauptes ritt Norman Powderham in die Kampfstätte. Ihn störte das schlechte Wetter nicht, im Gegenteil, er war ein erfahrener Kämpfer auf schlechtem Untergrund, wohingegen seine Gegner erhebliche Probleme damit hatten. Erneut verneigte er sich vor der königlichen Loge und nahm sich die Freiheit heraus, Lady Jane Grey vertraulich zuzuzwinkern. Unter den Zuschauern gab es nicht wenige Damen, die es gerne gesehen hätten, wenn er ihre Farben an seinem Pferd getragen hätte. Wenn aber ein Junggeselle für eine bestimmte Dame kämpfte, kam das einer Liebeserklärung gleich und wurde gern als Eheversprechen angesehen. Obwohl Norman die Gesellschaft und Bereitwilligkeit diverser Damen nicht missen wollte, war unter ihnen keine, die er zum Traualtar führen wollte. Er hatte ja überhaupt nicht vor zu heiraten, dazu liebte er sein ungebundenes Leben viel zu sehr. Es gab so viele schöne Frauen auf der Welt, warum sollte er sich da an eine einzige ketten? Aus diesem Grund hatte er Jane Grey die Ehre erwiesen, das war unverfänglich, denn sie war noch ein Kind. Zudem empfand er Mitleid mit dem Mädchen, das aus einem kalten und herzlosen Elternhaus stammte. Für ihr Alter war sie viel zu ernst, dauernd steckte sie ihre hübsche kleine Nase in irgendwelche Bücher. Einzig wenn sie in der Nähe von Prinz Edward weilte, blühte sie auf und benahm sich, wie es einem Kind ihres Alters gebührte.
Sir Norman blieb keine Zeit für weitere Überlegungen, die Trompeten riefen zum ersten Kampf. Sein Schlachtross scharrte nervös mit den Hufen. Jenseits der Schranken, auf der anderen Seite des Turnierplatzes, erkannte er seinen Gegner. Er trug die Farben des Herzogs von Ellery. Obwohl nicht mehr jung, war der Herzog ein kampferprobter Ritter, der schon an der Seite des Königs am großen Frankreichfeldzug teilgenommen hatte. Norman drückte seinem Hengst die Sporen in die Seite und hörte die schmatzenden Geräusche der Hufe auf der aufgeweichten Bahn. Durch die Sehschlitze sah er den Herzog mit gesenkter Lanze auf sich zukommen, nun stemmte er die seinige. Dann drückte er sich in die Steigbügel und zielte. Etwas prallte so hart gegen seinen Brustpanzer, dass er für einen Augenblick gelähmt war. Norman hörte den Aufschrei in der Menge, aber er schwankte nur einen Augenblick, dann hatte er sich wieder unter Kontrolle. Tief sog er die Luft in seine Lungen, der ziehende Schmerz in seiner Brust war zwar unangenehm, aber auszuhalten. Er wendete sein Pferd für einen erneuten Angriff. Wieder galoppierte der Gegner auf ihn zu, doch dieses Mal gelang es Norman, ihm die Lanze in die Schulter zu bohren. Der Herzog wurde aus dem Sattel gehoben und fiel in den Matsch. Wie bereits zuvor saß Norman ab und zog sein Schwert, doch dem Herzog gelang es, sich ohne Hilfe aufzurichten. Kampfbereit standen sich die beiden Männer mit erhobenen Schwertern gegenüber. Dann klirrte Metall auf Metall, Funken stoben nach allen Seiten. Die schwere Rüstung behinderte Norman, bot aber gleichzeitig Schutz vor den Hieben, die hin und wieder seinen Oberkörper trafen. Die Menge grölte und schrie, beide Männer wurden gleichermaßen angefeuert. Obwohl es nicht warm war,
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