Königin für neun Tage
Händen. Es war offensichtlich, dass er auf Grund seiner Statur die Waffe nicht lange in einer Hand halten konnte. Der schwarze Ritter mochte zwar geschickt sein, war ihm aber konditionell deutlich unterlegen. Das musste er sich zunutze machen. Um sich selbst nicht unnötig zu verausgaben, verringerte Norman seine Schlagkraft, doch jeder Hieb wurde von dem Fremden geschickt pariert. Es standen sich zwei ebenbürtige Kämpfer gegenüber. Aus den Zurufen des Volkes entnahm Norman, wie rasch sich der geheimnisvolle Gegner die Sympathien des Publikums erkämpfte. Das weckte seinen Ehrgeiz. Er hatte die größten und stärksten Ritter besiegt und würde sich jetzt nicht von einem solchen Hänfling unterkriegen lassen! Wie von Sinnen begann er auf den schwarzen Ritter einzuschlagen, dessen Kräfte zusehends erlahmten. Seine Bewegungen wurden langsamer und unkontrollierter, bald fehlte ihm die Kraft, die Waffe zu heben. Norman holte ein letztes Mal aus und wollte dem Ritter mit einem Hieb das Schwert aus der Hand schlagen. Er zielte auf das Handgelenk, in diesem Moment duckte sich der Fremde, und Normans Schwert krachte auf dessen Schulter. Die scharfe Klinge durchtrennte das Kettenhemd, sofort sprudelte Blut aus der Wunde. Der Fremde ließ sein Schwert fallen und starrte auf die Verletzung, auch Norman war entsetzt, denn er hatte seinen Gegner auf keinen Fall ernsthaft verletzen wollen! Der schwarze Ritter schwankte, dann fiel er zu Boden. Bevor Norman sich um ihn kümmern konnte, waren Männer zur Stelle, unter ihnen auch der Wundarzt. Schnell schoben sie das Kettenhemd zur Seite.
»Es ist nur eine tiefe Fleischwunde. Es besteht kein Grund zur Besorgnis«, rief der Arzt und presste ein sauberes Tuch auf die Wunde, um die Blutung zu stillen.
Norman atmete erleichtert auf. Zwar wurde in den Turnieren mit scharfen Waffen gekämpft, aber es ging nicht darum, den Gegner zu töten. Er nahm den schweren Helm vom Kopf und wandte sich zur königlichen Loge, um nun endgültig den Siegerpreis in Empfang zu nehmen.
Zappelnd lag Antonia – denn um niemand anderen handelte es sich bei dem schwarzen Ritter – auf dem Rücken. In ihrer Schulter pochte und klopfte es heftig, der Schmerz nahm ihr beinahe den Atem. Als die Männer begannen, die Schnallen ihrer Rüstung zu lösen, wurde ihr bewusst, in welch prekärer Situation sie sich befand. Welcher Teufel hatte sie nur geritten, sich Sir Normans alte Rüstung anzulegen und ihn vor aller Augen herauszufordern? Jetzt fingerte jemand am Verschluss ihres Helms herum, und bevor sie sich wehren konnte, wurde er ihr über den Kopf gestreift. Ein Aufschrei ging durch die Menge, alle Aufmerksamkeit richtete sich auf sie.
»Anthony!« Mit funkelnden Augen beugte sich Sir Norman über sie. »Bist du völlig verrückt geworden?«
»Ihr kennt diesen Mann?«, fragte der König, beugte sich interessiert nach vorne über die Brüstung und blinzelte, um besser sehen zu können.
Norman wandte sich zähneknirschend wieder seinem Monarchen zu. »Sire, es ist mein Knappe Anthony Fenton. Ich habe ihn erst vor kurzer Zeit in meine Dienste genommen, und er untersteht derzeit der Aufsicht von Master Rowse.«
»Ein Knappe gibt sich als Ritter aus? Fenton …? Fenton …!«, brüllte der König und sah sich suchend um.
Antonias Vater trat nach vorne, seine Augenlider zuckten nervös, als er sich vor König Henry verbeugte. »Verzeiht Sire, aber es ist mein Sohn, der sich so ungebührlich verhalten hat. Ich weiß nicht, was ihn dazu getrieben hat, aber Ihr könnt versichert sein, dass er seine Strafe erhalten wird.«
Plötzlich trat die Königin vor und berührte Lord Thomas am Ärmel. »Bitte, züchtigt Euren Sohn nicht zu sehr. Er hat gewiss nur aus Übermut gehandelt, dabei aber viel Mut und Geschick bewiesen. Ihr müsst zugeben, Sir Norman, dass der Junge es Euch nicht leicht gemacht hat.«
Lächelnd ergriff König Henry ihre zarte Hand und drückte sie mit seinen fleischigen Fingern. »Meine Gemahlin hat Recht, Mylord Fenton. Euer Sohn hat gezeigt, dass eines Tages ein guter Kämpfer aus ihm werden wird. Dennoch muss er dafür bestraft werden, dass er sich in eine Stellung erhoben hat, die ihm nicht zusteht. Es liegt in Eurer Hand, wie Ihr mit ihm verfahren wollt.«
»Sir Norman, bedenkt, dass Ihr einen flinken und mutigen Knappen habt. Es wäre eine Schande, wenn er seine Tätigkeit nicht mehr ausüben könnte«, wandte die Königin ein. »Hoffentlich hinterlässt die Wunde keine bleibenden
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