Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Königin für neun Tage

Königin für neun Tage

Titel: Königin für neun Tage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Michéle
Vom Netzwerk:
auf die der jeweilige Wahlspruch des Hauses, für das der Ritter in das Turnier zog, gestickt war. Seit Sonnenaufgang hatte Antonia zusammen mit drei weiteren Gefolgsleuten Sir Normans die Waffen in das Zelt gebracht, sie gereinigt und auf Hochglanz poliert. Drei verschiedene Rüstungen und vier Pferde standen für den Kämpfer bereit, darunter eine schlichte schwarze Rüstung, die für die breitschultrige Gestalt Sir Normans viel zu eng schien.
Als Antonia ihn fragte, ob er diese Rüstung auch tragen wolle, schüttelte er lachend den Kopf. »In dieser Rüstung nahm ich an meinem ersten Turnier teil, damals war ich gerade fünfzehn Jahre alt. Sie hat mir Glück gebracht, denn ich ging als Sieger aus dem Wettkampf hervor. Seitdem ist die Rüstung eine Art Talisman, den ich stets in meiner Nähe haben will.«
Antonia schmunzelte über seinen Aberglauben.
Nachdem sich alle Teilnehmer vor ihren Zelten eingefunden hatten, machten Fanfarenbläser auf den Einzug des Königs aufmerksam. Henry schien sich heute wohler zu fühlen, denn er beschritt die Tribüne zu Fuß, gestützt von drei kräftigen Männern. Der König trug einen mit weißem Atlas gefütterten und mit breiter Schleppe versehenen veilchenfarbenen Mantel, der von einer dicken goldenen Kordel mit goldenen Schmuckstücken in der Größe von Eicheln gehalten wurde. Darunter trug er ein Wams aus geschlitztem weißem und karmesinrotem Samt. Seinen kahlen Kopf bedeckte eine Mütze aus ebenfalls rotem Samt, und ein Halsschmuck mit einem walnussgroßen Diamanten rundete das Bild ab. Seine dicken Finger verschwanden beinahe unter den protzigen Edelsteinen an den Ringen.
Das Volk jubelte dem Monarchen zu, Hüte und Mützen flogen vor Begeisterung in die Luft. König Henry nickte huldvoll nach allen Seiten, dann ließ er sich ächzend in den massiven Eichenstuhl mit den großen roten Kissen nieder. An seiner Seite nahm Königin Catherine Platz, deren eher schlichtes, nachtblaues Kleid neben dem Prunk des Königs beinahe verblasste. Begleitet wurde die Königin von verschiedenen Hofdamen, darunter befand sich auch das Mädchen Jane Grey. Natürlich durfte der düstere Edward Seymour nicht fehlen. Ihm zur Seite saß der Prinz von Wales, der in seinem juwelenbesetzten Wams und dem pelzverbrämten Umhang wie ein zu klein geratener Erwachsener wirkte.
Nachdem Maskenspieler und Narren dem König die Ehre erwiesen und die Stimmung im Volk angeheizt hatten, gab Henry das Zeichen, mit dem Turnier zu beginnen. Die Reihenfolge der Ritter, die sich in der Bahn zu Pferd und mit der Lanze gegenüberstehen sollten, wurde ausgelost. Sir Norman Powderham kam erst ganz zum Schluss an die Reihe. Atemlos verfolgte Antonia, wie die Ritter ihre Pferde antrieben, wie Lanze auf Lanze splitterte oder wie die Kämpfer aus dem Sattel gehoben wurden und auf den matschigen Untergrund stürzten. Sofort waren Helfer zur Stelle, um den wie Käfer auf dem Rücken liegenden Rittern wieder aufzuhelfen. Es floss kein Blut, denn das Turnier war kein Kampf auf Leben und Tod. Es diente lediglich zur Übung und Vorbereitung auf einen Krieg und zur Erbauung des Königs.
Jetzt war Sir Norman an der Reihe. Antonia half ihm in den Sattel und reichte ihm mit der Hilfe eines anderen Knappen die schwere Lanze hinauf. Prächtig sah er aus in seinen Farben Rot und Blau! Sir Norman ritt vor die königliche Loge und erwies wie alle Ritter dem König seine Ehrerbietung. Dann senkte er den Kopf in Richtung von Lady Jane Grey, und das Kind errötete. Sie nestelte ein Tuch von ihrem Gürtel und warf es ihm zu. Er presste die Lippen darauf und band es dann an das Halfter seines Pferdes. Verwundert hatte Antonia die Szene beobachtet. Die meisten Ritter kämpften für die Frau ihres Herzens und trugen deren Farben im Turnier. Aber Jane Grey war noch ein Kind! Antonia vermutete, dass Sir Norman sich die Sympathie und Freundschaft von Lady Jane erkämpfen wollte, denn das Mädchen würde in einigen Jahren erwachsen sein und zu einer Schönheit heranreifen. Zusätzlich bestand ein enges Verwandtschaftsverhältnis zum König, denn Jane Grey war eine Urenkelin von König Henry VII., dem Vater des jetzigen Königs. Eine Freundschaft mit ihr konnte für jeden Mann nur von Vorteil sein. Jetzt erkannte Antonia in dritter Reihe auch ihren Vater, der Sir Norman wohlwollend zunickte, jedoch keinen Blick in ihre Richtung wandte.
Der Kampf war schnell entschieden. Bereits beim ersten Angriff hebelte Sir Norman seinen Gegner aus dem Sattel.

Weitere Kostenlose Bücher