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Königin für neun Tage

Königin für neun Tage

Titel: Königin für neun Tage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Michéle
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wenn auch sie ohne Nachkommen das Zeitliche segnete, lag der Thron für Elizabeth in greifbarer Nähe. Antonia erinnerte sich, dass auch Jane Grey in verwandtschaftlichem Verhältnis zu König Henry stand und eine potentielle Thronanwärterin war. Antonia seufzte erleichtert auf. Sie war froh, nicht in die politischen Intrigen verstrickt zu sein. Mit einem Seitenblick sah sie, wie Maryrose Elizabeth nicht aus den Augen ließ. Das Mädchen platzte fast vor gespannter Erwartung, aber Antonia glaubte nicht daran, dass in Chelsea rauschende Feste gefeiert würden, denn Elizabeth hatte bisher sehr zurückgezogen gelebt.
Als sich die kleine Gesellschaft später in ihre jeweiligen Räume zurückzog, fiel Antonia auf, dass sie seit Stunden nicht mehr an Norman Powderham gedacht hatte, doch kaum hatten sie und Maryrose das Licht gelöscht und das Geplapper des Mädchens war verstummt, kreisten ihre Gedanken wieder um ihn. Auch die Unsicherheit, welche Macht ihr Vater noch immer über sie besaß, hing wie ein Damoklesschwert über ihr. Lady Catherine hatte sich jetzt um zwei hoch gestellte Mädchen zu kümmern, zudem forderte die junge Ehe ihre ganze Aufmerksamkeit gegenüber Thomas Seymour. Würde sie weiterhin ihre Hand schützend über sie halten können?
    In der folgenden Zeit hatte Antonia allen Grund, Elizabeths und Janes hohe Bildung zu bewundern, besonders Elizabeth zeichnete sich durch einen scharfen Verstand aus. Ihr Lehrer, Roger Ascham, verstand es meisterhaft, seine Schülerinnen anschaulich und interessant zu unterrichten, doch auch nach vielen Unterrichtsstunden blieb für Antonia die griechische Sprache unverständlich, während sie in Latein und Mathematik gute Fortschritte machte. Wenn Roger Ascham sie tadelte, ihre Übersetzungen von Plato seien dermaßen fehlerhaft und ihr Text ergebe völligen Unsinn, hob Elizabeth nur pikiert die Augenbrauen, während Jane Grey ihr aufmunternd zulächelte. Antonias einziger Trost war, dass Maryrose Borough noch viel weniger wusste.
Das Leben in dem Haus am Ufer der Themse verlief in gleichförmigen Bahnen, ein Tag ähnelte dem anderen. Am Vormittag wurden die vier Mädchen gemeinsam unterrichtet, danach blieben sie sich selbst überlassen. Während Jane sich regelmäßig mit Büchern in ihr Zimmer zurückzog, nutzte Elizabeth jeden schönen Tag, um auszureiten. Oft beobachtete Antonia sie wehmütig von ihrem Fenster aus, wenn die Prinzessin mit wehenden Haaren auf ihrer Schimmelstute über die Felder galoppierte. Ihr selbst blieb das Reiten verwehrt. Sie wurde zwar zusammen mit Elizabeth unterrichtet, stand aber sonst viele Stufen unter ihr. Antonia wagte nicht, Lady Catherine zu bitten, sich ein Pferd aus dem Stall nehmen zu dürfen. Sie wollte ihre Gutmütigkeit nicht zu sehr ausnützen. Jane war noch zu jung, und Maryrose machte sich nichts aus Pferden. Zu Antonias Entsetzen schien sich ihre Zimmergenossin jedoch mehr aus dem Stallburschen zu machen, wie sie eines Nachmittags beobachten konnte. Die beiden hatten sie nicht kommen gehört, als Antonia bei einem Spaziergang in den Innenhof mit der Pferdetränke kam. Erschrocken löste sich Maryrose von dem jungen Burschen, der kaum älter als sie sein konnte. In ihren blonden Locken hatte sich Stroh verfangen, und ihre Wangen waren unnatürlich gerötet. Antonia warf ihr einen vernichtenden Blick zu, drehte sich um und ging ohne ein Wort weiter. Ab diesem Moment begegnete ihr Maryrose hochmütig, kam aber mit keinem Wort auf den Vorfall zu sprechen. Auch Antonia mied das Thema, schließlich ging es sie nichts an, wenn das frühreife Mädchen sich wegwarf. Sie wollte auch nicht petzen, obwohl sie sich fragte, was Lady Catherine von dem Verhalten ihrer Großnichte halten würde.
Da sich zu Maryroses Kummer selten Gäste in Chelsea einfanden, speisten sie am Abend meistens im intimen Kreis: Lady Catherine und Lord Seymour, Elizabeth, Jane, Maryrose und sie, Antonia. Bei diesen Zusammenkünften beobachtete Antonia, wie fürsorglich sich Thomas Seymour nicht nur um seine Frau, sondern auch um deren Stieftochter kümmerte. War Elizabeths Becher leer, füllte er ihn eigenhändig wieder auf; verlangte sie nach Naschwerk, das auf der Anrichte stand, so erhob er sich persönlich und präsentierte ihr lächelnd den Teller. Lady Catherine nahm sein Verhalten wohlwollend zur Kenntnis. Es war schön, dass sich ihr Mann so gut mit Elizabeth verstand, hatte das Kind doch vorher nie ein normales Familienleben kennen gelernt. Zufrieden

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