Königin für neun Tage
lehnte sich Catherine in ihrem gepolsterten Stuhl zurück. So wie jetzt sollte es immer sein – Ruhe und Frieden, keine Missstimmung trübte ihr Leben. Sie fühlte sich rundum glücklich und war dem Schicksal, das ihr diesen wunderbaren Mann an die Seite gestellt hatte, dankbar.
An einem Abend, die Mädchen hatten sich nach dem Essen auf ihr Zimmer zurückgezogen, machte Maryrose ihrem Herzen Luft: »Ich bin wirklich nicht nach London gekommen, um über den Büchern zu versauern! Wir hatten oben im Norden mehr Gäste und Vergnügungen als hier im Haus einer ehemaligen Königin.«
»Lady Catherine ist jetzt eine ganz normale Ehefrau, die Frau von Admiral Seymour, und ist darauf sehr stolz«, entgegnete Antonia streng.
Vor zwei Wochen war Thomas Seymour von seinem Neffen, König Edward, zum Admiral erhoben worden. Danach hatte es zwar ein kleines Fest gegeben, aber zu Maryroses Bedauern waren die Mädchen nach dem Essen auf ihre Zimmer geschickt worden.
Kichernd löste Maryrose die Schnürung ihres Kleides, streifte es ab und angelte nach dem Nachthemd. »Unsere liebe Catherine soll nur aufpassen, dass sie nicht eine Natter an ihrem Busen nährt.«
»Was willst du damit sagen?«, fuhr Antonia sie scharf an.
Das Mädchen runzelte wissend die Stirn. »Ist es nicht auffällig, wie besorgt der Admiral um das Wohl von Lady Elizabeth ist? Man sieht ihn stets in ihrer Nähe, und sie tut nichts, um das zu unterbinden.«
Empört sprang Antonia auf und rüttelte Maryrose an der Schulter. »Lord Seymour ist lediglich um die Stieftochter seiner Frau besorgt. Er ist mehr als doppelt so alt wie Elizabeth! Es ist schändlich, in seinem Verhalten etwas anderes als väterliche Fürsorge zu sehen. Du solltest deine Zunge besser im Zaum halten, denn ich denke, dass es Lady Catherine wenig gefallen würde, sollten ihr solch schmutzige Verdächtigungen zu Ohren kommen.«
Ungerührt ob des Tadels schlüpfte Maryrose in ihr Nachthemd und legte sich ins Bett. »Meinetwegen soll sie mich wieder nach Hause schicken, nur weil ich die Wahrheit sage. Hier ist es mir ohnehin zu langweilig.«
»Ich denke, du hast im Stall genügend Unterhaltung gefunden?«, entgegnete Antonia spitz. »Ich verstehe nicht, wie du deinen Status dermaßen vergessen und dich in die Arme eines Knechtes werfen kannst.«
»Meinen Status?«, begehrte Maryrose auf. »Ich stehe viele, viele Stufen unter der ach so feinen und wohlerzogenen Elizabeth Tudor, die sich nicht zu schade ist, dem Mann der Frau, die sie als Einzige als Tochter behandelt hat, schöne Augen zu machen. Antonia, wach endlich auf! Das Leben ist ein großes Spiel, in dem es nur darum geht, wer es als Erster gewinnt. Lord Seymour hat längst erkannt, dass es für ihn besser gewesen wäre, nicht die ehemalige, sondern die
zukünftige
Königin zu heiraten.«
Abrupt wandte sich Antonia um, lief zur Tür und riss sie auf. »Ich will nichts mehr von deinen Lügen und Verleumdungen hören! Wenn du damit nicht aufhörst, werde ich zu Lady Catherine gehen und ihr erzählen, mit wem du deine Nachmittage verbringst.«
Antonia hatte die Tür bereits hinter sich zugeworfen, als sie Maryroses spöttisches Gelächter hörte.
»Du bist ja nur eifersüchtig, weil kein Mann dich ansieht …«
Vor Tränen blind merkte Antonia erst, dass sie in den Rosengarten gelaufen war, als sie plötzlich mit jemandem zusammenprallte.
»Hoppla!«, rief Jane Grey. Im letzten Moment konnte sie verhindern, dass sie zusammen mit Antonia in die kahlen Sträucher stürzte.
»Verzeiht, Mylady.« Hastig wischte sich Antonia über das Gesicht, aber Jane hatte ihre Tränen schon bemerkt.
»Ich habe dir doch gesagt, du sollst mich Jane nennen.« Leicht drückte sie Antonias Hand. »Ich fühle mich so furchtbar alt, wenn alle Lady zu mir sagen. Möchtest du dich ein wenig zu mir setzen?« Der Herbstabend war ungewohnt mild und trocken, aber der Sichelmond stand schon hoch am Himmel.
Antonia zögerte. »Man wird dich vermissen, Jane. Es ist schon dunkel.«
Das Mädchen schüttelte ernsthaft den Kopf. »Sie denken alle, ich wäre um diese Zeit in meinem Zimmer, um zu lernen. Das tue ich auch meistens, aber manchmal muss ich einfach raus, besonders an einem solch schönen Abend wie heute. Schon bald wird der Winter kommen, und wir sind dann wochenlang in den Räumen eingesperrt.«
Jane und Antonia setzten sich auf eine Bank, deren Stein noch von der Sonne warm war.
»Warum hast du mich damals in Hampton Court nicht verraten?«, platzte Antonia mit der
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