Königsallee: Roman (German Edition)
Verträglichkeit und Verantwortlichkeit schafften das Beste auf Erden, was wir gewinnen können. Dazu die Liebe.»
«Du hast doch Die Glocke schon im Auftakt zum Erwählten wieder kräftig läuten lassen.» Sie beugte sich vor: «Glockenschall, Glockenschwall supra urbem. Vom Aventin läutet’s, da hallet alles in Rom zu großem Fest und erhabenem Einzug.»
«Mein Tönen und Dröhnen ist frei nach Schiller ausgemalt. Es geht in meinem abwegigen Büchlein …»
«Aber! Der Erwählte ist von kostbarer Wortpracht, eine nachträgliche Perle des Mittelalters.»
«Und die Fanfare zum Inzest.»
«Manches ist unbewußt verwoben, Schillers Freiheit und dein Ausmalen. Ob sie die Geschwisterliebe auch verfilmen? Hundertachtzigtausend verkaufte Exemplare in drei Jahren. Mailand hab’ ich wegen der italienischen Tantiemen gemahnt.»
«Das bleibt doch peinlich.»
«I wo, ohne gute Buchführung wären wir auf dem Hund. Wer schenkt den Künsten was?» Sie schnitt eine Semmel auf.
«Zwillingsrausch im flämischen Alkoven, und die Leibesfrucht wird Papst. Solch gelebten Freisinn», lachte er auf, «möcht’ ich erleben. Im Buch wirkt’s lustvoll und geheim, ist dunkler Romanzauber. Im Kinosaal begänn’ ein wütendes Toben bei Willigis’ Verführen der eigenen Schwester … süße Braut, gewähre, was Minne als Minneziel begehrt. So trieben sie’s zu Ende und büßten Satans Lust. Ein verqueres Buch, verschmockt. Spätwerk.»
«Welches Werk soll nicht stets wie ein Schlußstein halten? Wer macht’s dir nach?»
«Satanas kommt heute etwas anders daher als durch verworfene, vielleicht um so reizendere Brunst und durch Pakte mit dem Jenseits.»
«Wie denn wohl?»
«Durch den Weltungeist hin zum Untergang.»
«Bleibt doch auch ein Teufelspakt. Du bist am Leben und noch rege.»
Mit traurig gespitzten Lippen blickte er sie durch die Brille an.
«Du hast Lust verschafft. Die Worte poliert und zugespitzt. Tote wachgerufen. In Menge. Manchen recht skrupellos ins Totenreich befördert, den eigenen Enkel gar, literarisch, zur Rührung für das Publikum.»
Er winkte ab. «Wer zählt die Tränen über dem Papier.»
«Meinst, mir etwas zu enthüllen? Castorps unheimliche Entgrenzung im Schneegestöber in die Welt gesetzt. Die Kinderchen im flämischen Bettkasten sich verlustieren lassen. Dem Irrsinn im Wirklichen nachgespürt. Aufrechten Gang bewahrt.»
«Was wäre sonst aus uns geworden?»
«Das Schöpferische bleibt. Als Signal ohnehin.» Sie mochte oder wußte nichts hinzufügen und erklärte statt dessen: «Du hättest kommod im Morgenrock frühstücken können.»
«Wo wäre er auffindbar gewesen?»
«Im Schrank.»
Der Gelbe Salon der Suite lag wohlig im Widerschein seiner Wandbespannung. Das Lüsterlicht ließ Hotelsilber und Geschirr glänzen. Katia Mann erspähte nicht eine Spur von verbliebenem Teerand, eine auch nur andeutungsweise Tönung am Porzellan. Picobello. Das war auf Reisen und sogar im gerühmten Wiener Imperial manchmal anders gewesen. Bei der Flucht aus Europa, im September ’39, hatten sie auf dem hoffnungslos überfüllten Dampfer und trotz Erster Klasse für eine Imbißschicht im Speisesaal sogar Schlange stehen müssen. Die Decks hatten ab Southampton Notquartieren geglichen. Na und, Leben wurde gerettet. Dabei herrschte bis weit in den Atlantik Torpedogefahr. Laut oder still gebetet hatten die Menschen an Bord. Wegen irgendeiner Überlastung der Wasserzufuhr in den Kabinen hatten die Herren die Waschräume der Mannschaft mitbenutzt, und sich zwischen englischen Maschinisten und irischen Schiffsjungen mit nacktem Oberkörper frischmachen und rasieren müssen. Der von all den Umständen zutiefst verwirrte Gatte hatte aus dem Männergelärm und Brausendampf kaum die Gänge und Treppen wieder heraufgefunden. Daß sie bei dieser Flucht vor dem eigenen Volk und dem Abbruch der Lesereise durch Schweden überhaupt wieder heil im Exilort Princeton angelangt waren, glich einer Fügung oder einem Mirakel. Bereits wenige Stunden nach dem Überfall auf Polen, den wechselseitigen Kriegserklärungen in Europa hatte die deutsche Luftwaffe den Himmel über der Ostsee kontrolliert und erste Maschinen abgeschossen. Inmitten dieser Bedrohung, auf dem Flug von Stockholm nach Großbritannien hin zum Schiff, hatte sie ihn gezwungen, seinen geliebten Fensterplatz zu räumen und ihn ihr zu überlassen. Erst nach der Landung in London hatte sie ihm ihre Furcht gebeichtet, daß ein fanatischer deutscher Pilot aus
Weitere Kostenlose Bücher