Königsallee: Roman (German Edition)
Mit dem Auftakt hast du sie im Bann. Nacht und Friedhof erzeugen Andacht. Danach kommst du zu Schillers Leben.»
«Gewiß. Von einer Art Schlußergebenheit, fast Finalfrömmigkeit aus.»
«Sieh an. Das ist dünn geschnittener feinster Schinken, westfälischer. Der wird dir bekommen.» Katia Mann lüftete eine zweite Haube. Ein duftendes Käsesortiment mit Salzstangen und Silberzwiebeln. Mit Importoliven war kaum zu rechnen. Scheinbar vollends nebenher, beim Zuckern ihres Tees, bemerkte die Siebzigjährige: «Ich wollte dir den Frühstückssaal ersparen. Die vielen Gaffer.»
«Manchmal hat man doch auch gerne Menschen um sich.»
«Die Stimme klingt wieder ordentlich.»
«Brom.»
Er stellte den Ascher auf einem Kacheltischchen ab. Das dunkle Krawattenrot verschwand unter der Weste des hellen Anzugs, zu dem der Lederleinenschuh paßte.
«Außerdem», Katia Mann nahm in einem Sessel mit einer Rokokorosette im Rückenpolster Platz, «möchte ein unliebsamer Gast unten Kaffee trinken. Feldmarschall Kesselring, der berühmte, berüchtige smiling Albert … du weißt, sein Nervendefizit am Mund …, reist wohl ab, ist aber noch zugegen.»
«Sonst müßten wir fort.» Er setzte sich augenscheinlich ruhig. «Wer will ermessen, wie viele Hände von Tätern, Einpeitschern zum Mord, Brut, die mich lieber tot als lebendig sehen wollte, will! – und die jetzt oftmals lächeln und charmieren –, ich unwissend schon geschüttelt habe, seit der Rückkunft. Aber solche Gestalt, das ist zuviel.» Er zögerte, die Serviette vom Teller zu greifen und zu entfalten.
«Er zieht wohl zu Fabrikanten um. Eri trägt ihre Ansicht eben beim Direktor vor. Wenn du noch abreist – ein Politikum. Thomas Mann kehrt Düsseldorf empört den Rücken.»
«Sie würden’s verkraften.»
«Täusch dich nicht. Ein handfester Skandal. Ginge um die Welt.»
«Golo?» Er trommelte auf die Tischplatte.
«Seit seiner Ankunft nicht gesehen.»
«Was will er hier? Man absolviert keine Lustreise mit familiären Assembleen. Schwerste Fron. Alles zupft und zerrt an einem. Jeder will und fordert. Das Nervenkostüm ist nur bedingt das eines Wanderkomödianten.»
«Laß den Jungen doch. Und Commedia dell’arte hat doch etwas, mag sie auch ein Leben dauern. Er hat sonst niemanden, an den er sich wirklich hängen kann. Sein jetziger Lebensgefährte oder Liebhaber – was weiß man, wer da alles noch eine Rolle spielt – kommt wohl erst im Herbst aus den USA. Sollen wir sie dann zum Essen laden?»
«Das sei, man schaut sich gern neue Leute an. Beherrscht der Galan Deutsch?» Katia Mann zuckte die Achseln.
«Vornehmlich Englisch wird bei Tisch nicht geredet werden. Das stimmt lustlos und strengt an. Auch Amerikaner mögen sich bemühen, wenn sie hier vielleicht sogar seßhaft werden wollen.»
«Dann muß er eben zuhören. Vielleicht ist’s im Herbst schon aus. Du weißt, wie schnell die Favoriten bei …», fünf Jahre nach dem Tod brauchte die Mutter noch gehörige Kraft, um den Namen leise auszusprechen, «… bei Eissi die Herzenshelden wechselten. Und auch bei der Eri die Freundinnen.»
Der Vater nahm ein Weißbrot. «Golo kann nicht essen. Immer Brösel auf den Lippen.»
«Sein neues Buch über Amerika ist gedruckt. Vielleicht will er’s dir überreichen.»
«Man hat sonst nichts zu lesen.»
«Der Winter wird lang mit langen Abenden. Vielleicht gelingt ihm ja der große Wurf.»
«Ja, das soll ihm wohl gelingen. Forschen, brüten kann er wie kein Zweiter, möchte alles aber auch einmal in Fluß kommen.»
«Wie können sie brillieren, solang du lebst?» Sie legte ihre Hand kurz auf seine.
Er lehnte sich zurück.
«Schiller trugen sie in mondloser Nacht zu Grabe. Ich muß Die Glocke , dieses Menschheitsgedicht, neu ins Bewußtsein rücken. Wie verstummt scheint sie durch mechanisches Gebüffel an den Schulen, das Herunterleiern für eine gute Note. Doch: Heil’ge Ordnung, segensreiche/Himmelstochter, die das Gleiche/Frei und leicht und freudig bindet, – das bleibt ganz immens und immer neu, mit welchem Schwung, den wir geradezu tollkühn nennen wollen, er die Vermählung von Ordnung und Freiheit verkündet. Die Hellsicht, daß das eine ohne das andere nicht gewährleistet ist. Unter Tyrannei gibt’s kein Atemholen. Und für jedermanns gerüttelt Maß an Freiheit braucht’s die milde Übereinkunft. Verträglichkeit. Und Verträglichkeit, die Freiheit garantiert, schlägt sich nieder in civilem Staatsgesetz und vertrauensvollem Wort.
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