Königsallee: Roman (German Edition)
action nennt? Wenn dauernd herumgewirbelt wird und es viel kracht. Dort muß alles action sein.»
«Ja, vielleicht kommt in dem Film auch ein Duell vor und eine Verfolgung. Das würde Spaß machen.» Die Tür schloß sich behutsam, was auch eine gewisse Tat bedeutete.
Katia Mann blieb am Eingang stehen und sprach zum Fenster: «Es tut mir leid. Ich bin manchmal so geradeheraus mit den Fragen. Kintopp will die Jugend, na, und sollen sie doch amerikanische Schmonzetten lesen für Herz und Schmerz. Sie saßen hier lange genug im Käfig. Im übrigen wird es bleiben, wie es immer war: Die Klugen werden klüger, und die Dummen bleiben dumm. Und sie werden mehr. Ist aber eine entzückende Person», sie wandte den Kopf kurz um, «ein bißchen frech vielleicht.»
Die Dichtergattin trug nicht den langen Perlenschmuck der Ankunftszeremonie, sondern eine kurze Alltagsschnur zeigte sich unter den weißen Ecken des Schillerkragens. Das dunkelblaue Kleid war weiß gemustert. Der Gürtel war fast handbreit und umschloß keine füllige, vielmehr eine kräftige Figur, nicht groß, mit Knöcheln, einem Wadenansatz, der leicht geschwollen wirkte. Trotz Radfahrens, viel Ski in früheren Jahren war die Verformung überm Schuh ein Tribut ans Alter. Mit noch immer munteren schwarzen Augen im faltigen Gesicht und nur einer Spur Mattrosé auf den Lippen trat die Gattin an den Tisch heran und hielt einen Packen Papier umfaßt. Einen Teil davon legte sie ab, die Zeitung entfaltete sie: «Eri hat die Rheinische Post besorgen lassen. Ganz famos, Tommy», und flugs hatte sie die Brille auf, deren Bügel sich im zurückgekämmten weißen Haar verloren: « Als Thomas Mann », las sie aus der Tagungszeitung, « den blumengeschmückten Hörsaal 1 der Kölner Universität betrat und am Lesetisch Platz nahm, auf dem ein Strauß roter Nelken prangte … die Zugluft haben sie weggelassen … begrüßte den 79 jährigen … Ja», sie blickte auf, «so viel Jährchen hast du mittlerweile auf dem Buckel, der lebhafte Beifall der geladenen Gäste, die den weiten Raum bis auf den letzten Platz füllten … etcetera p. p.», ihre Augen glitten weiter nach unten: « Dann füllte die etwas harte Stimme des Lesenden den Saal, die alsbald, unterstützt durch die natürliche Mimik … das kannst du … des geprägten Gesichts … sie meinen wohl nicht mehr ganz glatt», sie lachte, « und die wohltuend beherrschte Gestikulation der linken Hand, mit ihrer etwas stereotyp getragenen Melodieführung … na, der traut sich was … und farbigen Modulationen das Ohr der Gäste fesselte. Mann stellte sich damit als vorzüglichen Interpreten seines eigenen Schrifttums vor … das Wort Schrifttum haben sie mächtig eingeimpft bekommen … was man leider nicht bei jeder Autorenlesung feststellen darf … wer trägt denn sonst noch vor? Vielleicht der Benn seine Gedichte. Steht ja mit seinen Endzeitetüden hoch im Kurs … Die Gäste, darunter Studierende der verschiedensten Länder mit allen Hautschattierungen, Neger, Inder, Perser, zum Teil mit Turbanen und Nationaltracht … hübsch bunte Riege! … dankten mit einem Schlußbeifall, der noch betonter war als die Begrüßung . Betonter? Affe. War frenetisch. Stehende Ovation. – Nun ja, insgesamt recht brav für ein Lokalblatt.»
Thomas Mann hob die Hand mit der Zigarette unmerklich über dem Porzellanascher. Den Rauch blies er in Richtung der halb geöffneten Fenstertür. Die Gardine wehte gegen sein Anzugbein. Auch durch den zugezogenen Tüll war ein Blick auf das morgendliche Treiben der Straße möglich.
«Sonne. Zu viel Sonne. Konturiert alles überdeutlich.»
«Wie viel Phanodorm?»
«Ich weiß nicht, zwei, drei.»
«Du verträgst mehr Arznei als andere. Aber das willst du nicht hören.» Sie goß Tee ein. «Hast du noch am Vortrag gewerkt? Ich meine, es ist noch reichlich Zeit bis zum Schillerfest nächstes Jahr. Ist dir die Carlyle-Biographie nützlich?»
«Ich werde wohl mit meinem eigenen Wort beginnen. Nicht mit einem Zitat. Zitieren hat einen Zug ins Mutlose, höchstselbst den Ton vorzugeben und Stellung zu beziehen. Stuttgart. Sind wir dann noch vorhanden?»
«Aber, Lieber.»
Er verharrte an der Sommerfensteröffnung und zitierte sich offenbar selbst: «So war die Nacht, die Mai-Nacht vor einhundertfünfzig Jahren, als durch die schlummernden Gassen Weimars des Dichters sterbliche Hülle zu Grabe getragen wurde …»
«So ein Grabesthema ist das richtige für dich. Im Dunkeln ist gut munkeln. Bravo.
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