Königsallee: Roman (German Edition)
Geburtstag war’s», er grub im Gedächtnis nach, «ebenfalls in der Rheinischen Post !»
«Da wechseln die Schreiber.»
«Das war starker Tobak», er entsann sich: «Thomas Manns bis zur Dummheit gehende Abneigung gegen Deutschland …»
«Na, das hat sich ja erledigt.»
«Thomas Mann kann schreiben, aber nicht denken.»
«Das begreife, wer will», gab Katia Mann freimütig zurück. Sie schnitt von der Senfgurke ab.
«Man muß Thomas Mann», zitierte er über sich, «an der metaphysischen Bewegung unserer Zeit messen und wird erfahren, daß er sich überlebt hat. Er zerfasert zum letzten Mal Goethe. Der heutige Geist aber steigert sich an tiefsten Seinsfragen und an der Theologie…»
«Och, nein», es verdarb Katia Mann beinahe den Appetit, «Glaubenskriege, das fehlte noch. Die wären gestrig und überlebt. Ein netter Geburtstagsgruß, an den du dich da erinnerst.»
«Und Thomas Mann ist die Eitelkeit in Person.»
«Wie du auf dich achtest, ärgert sie am meisten. Künstler sollen wohl immer am besten Tollhäusler sein. Aber an der Eitelkeit, ich meine, an der Ausstrahlung, läßt sich nichts mehr ändern. Anderer Erfolg macht andere immer irre. Manche halten dich für einen Eiszapfen. Das mag von den frühen steifen Hüten kommen. Doch willst du noch in Badehose herumlaufen?»
Er lächelte. «Eher nicht. – Die Kinder? Wo?»
«Weiß nicht.»
Er genoß Orangenmarmelade auf Toastecken. Aber wagte nicht nach Salzsäure für den Saft zu fragen. Dieses scharfe Mittel, wenn auch nur ein Tröpfchen davon, war vielleicht doch eine zu radikale Eingebung Dr. Katzensteins gewesen, um das Zahnfleisch zu kräftigen und folgend das Gekröse zu putzen. Im Waldhotel Dolder hatten sie mit gemischten Gefühlen die Säure aus der Apotheke besorgt und das Fläschchen mit dem Hinweis kredenzt: In diesem Fall, Herr Dr. Mann, übernimmt das Haus für etwaige Beschwerden leider keine Verantwortung.
Katia Mann sah das Teelicht flackern. Sie erhob sich und ging zum Fenster. Sie schloß den angelehnten Flügel. «Das fehlte noch. Nach der Kölner Brise die Düsseldorfer im Nacken.»
Als sie sich ungesehen ins Zimmer wandte, veränderte sich das Gesicht über den weißen Kragenspitzen abermals. Trotz seiner Jahre lächelte der Mund nicht mehr gewohnt und geübt munter burschikos. Der Blick aus dunklen Augen war in sich gekehrt. Sie zögerte anscheinend, zu ihrem Platz zurückzukehren, und strich sich übers weiße Haar. Langsam ging sie zum Tisch, wo der Gemahl, mit dem Rücken zur Fensterfront, Toast zerschnitt und über etwas nachsann.
«Tommy.» Sie nahm wieder Platz und strich zögerlich übers Tischtuch. Er deutete den Vorgang nicht, und sie reichte ihm Butter. Sein Einstecktuch hatte er akkurat drapiert, und die Goldrandbrille blieb ein guter Kauf.
«Tommy.»
Er blickte endlich auf, neben dem Gerbera-Nelken-Bouquet mit Schleierkraut.
«Es gibt da noch allerlei zu besprechen.»
Thomas Mann legte die Gabel auf den Tellerrand.
«Für heut’.» Sie wirkte angespannt und griff sogar an ihre Kette.
«Die Kinder sind untergebracht?»
«Ja, ja, Golo unterm Dach.»
«Mit Kesselring werde ich mich nicht verständigen. Mitläufer war er nicht, Mitläufer lassen nicht Hunderte von Geiseln erschießen.»
«Gewiß», stimmte sie ihm zu.
«Ist nicht ausverkauft, gibt es Proteste? Das mag ich nicht mehr erdulden.»
«Voll und alles ruhig.» Er fand ihren Ton beängstigend, sie atmete hörbar durch. Wenigstens gab sie ihre Kette wieder frei. «Also, Tommy, es gibt ein Tagesprogramm, fangen wir so an. Und dann ist allerlei Unvorhergesehenes geschehen, angereist, ich meine, eingetreten.» Sie zog die Wangen ein, was höchst selten geschah, und schien aus irgendeinem Grund sogar gekränkt zu sein, zutiefst. Die Gattin zunehmend kalt und feindsinnig? Solche Bedrohlichkeit, die engster Verbundenheit galt, hatte er lange nicht wahrgenommen und war hilflos. «Bertram? Aus Köln? Du mochtest ihn nie so ganz.»
«Bertram. Von dem weiß ich nichts. Er war mir zu spinnerig. Zuerst sein Feiern des Übermenschen, dann mißliebige Bücher verbrennen, und nun?»
«Er war lange mein Berater. Bleibt der Pate Medis. Den Casus werden wir ein andermal überdenken.»
Katia Mann räusperte sich. Sie griff nach einem dicht ausgefüllten Zettel, der neben der Rheinischen Post lag. «Eins nach dem anderen», ordnete sie fast für sich selbst, wirkte wieder vertrauter und setzte ihre Brille auf: «Lesung neunzehn Uhr. Wir werden abgeholt. Ich
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