Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Königsallee: Roman (German Edition)

Königsallee: Roman (German Edition)

Titel: Königsallee: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Pleschinski
Vom Netzwerk:
wanderte, viel Gemäuer, Luken, große Wimpel in Bücherform, oft unbeachsichtigt von da nach dort versetzt. Und sie eilte als Frauenkirche mit. So war’s seit dem Jawort oder vielleicht nur ein klein wenig anders.
    Heute seufzte sie dennoch. Wasser in den Beinen, in den Gelenken. Und andere Besorgnis. Sie wischte sich Krümel, die nicht vorhanden waren, vom Schoß.
    «Möchtest du Porridge?» fragte sie. «Sie haben in der Küche gewiß Haferschleim. Das ist dassselbe.»
    «Danke», lehnte er ab, «ein Eifrühstück mundet allemal.»
    Allzu viele Rückfragen, ob sie vielleicht heute lieber Kaffee getrunken hätte, waren in ihm nicht angelegt. Er ließe sich daran erinnern, daß er sich nach mancherlei erkundigen könnte. Aber so war es bei Männern, in sich selbst verstrickt oder in indiskutablen Fällen schlecht erzogen, wohl oft. Und kurz vor der Goldenen Hochzeit war nichts mehr umzukrempeln. Entging ihm ihre nun mäßig überspielte Bedrückung? Immer wurde zwischen ihnen etwas überspielt.
    «Reiche Stunde.»
    «Wie meinst du?» fragte sie.
    «Im Daseinslicht.»
    Nach dem süßen Auftakt mit Honig auf einem halben Brötchen gabelte sie sich Schinken auf die zweite Hälfte. Er hatte Weißbrot gebuttert und durchschnitt das abgepellte Breidenbacher Ei. Ein wenig dampfte es noch. Für die Leib- und Magenspeise löffelte er aus dem Kristallschüsselchen etwas Kaviar auf die Scheibenecke. Der erste Bissen, der anfangs quer im Schlund verharren wollte, war auch eine gute und notwendige Schluckübung für den Tag.
    «Mir ging gerad’ allerlei durch den Kopf», sie nahm ein Stück Gurke, «der Brieffund in Dachau ist der Beleg. Himmler wollte uns für eine, wie es drinsteht, Bedenkzeit ins KZ sperren. Uns! Dich und mich. Ha», sie schnitt energisch Fettrand vom Schinken, «da müssen sich schon andere Zwerge türmen!»
    Er dämpfte den nachträglichen Überschwang mit einer Bewegung von Händen und Besteck.
    «Ich weiß gar nicht mehr, wann ich das erste Mal hörte, daß ich Jüdin wäre. In der Schule? Daheim ging’s ja rein heidnisch zu. Nur die Christnacht wurde üppig gefeiert, ganz wie bei euch. Und Gebete waren bei uns Stoßgebete: Herrgott, mach, daß die Masern morgen weg sind! Welcher Herrgott, war ja egal. – Du hättest die Haft keine acht Tage überstanden.»
    Beim Speisen und Kauen waren manchmal ganz leise Knack- oder Schmirgelgeräusche vernehmlich. Falls es zu hart und kross wäre, würden sie vom Graubrot vielleicht zuvor die Rinde abschneiden. Er tupfte sich den Mund ab und lehnte sich zurück. «Haben sie mich in Düsseldorf nicht einmal wüst attackiert?» Er sann nach. Anders als Balladen Schillers oder gar Passagen aus eigenem Füllfederhalter blieben journalistische Tagespublikationen oft nur vage, wenn überhaupt, erinnerlich. Angriffe, Herabsetzungen, Verleumdungen nisteten sich indes gründlicher ein als die soundsovielte Begeisterung über «ironische Brechungen» von Erzähltem oder der Buchfiguren. Aber Magister Zeitblom hieß als Berichterstatter im Faustus-Roman genau so, weil der Gelehrtentitel zu einem Chronisten paßte … und nicht, weil Zeitblom komisch klänge; und anders als vorsichtig, tastend, leicht spielerisch konnte ein Romancier doch nicht erzählen, da die Welt, das Leben und die Menschen für stramme Äußerungen längst viel zu komplex waren. Falls die Zeitbloms der Zeitungen dieses angeboren spielerische, dabei mehr als ernstgemeinte Erzählen, Fabulieren, Eintauchen als «ironisch», als indirekte und schmuckvolle Wahrheitsvermittlung klassifizieren wollten – bitte sehr! Dann hatten sie einen Begriff, an den sie sich klammern konnten. Was war daran komisch, fragte er sich, daß Mut-emenet, die Gattin Potiphars, lispelte, als sie dem göttlichen Joseph ihre Wollust gestand? Die reife Ägypterin hatte sich in der Nacht zuvor … weh detan , auf die Tunge debissen , litt furchtbare Merzen , wollte Joseph in sich spüren, aber konnte nur: Slafe bei mir, du Süfefter der Ebräer! lifpeln und lallen. Die Arme, von Brunst Gebeutelte. Geriet ihre Verführungsattacke im Palast am Nil durch die wehe Tunge komisch und ironisch? Meinetwegen. Deliebter, mein Schwan und Stier, küffe mich ! Ein Handicap ließ manches im Leben humaner, mitleidenswerter sein und wirken. Und es blieb wahrlich besser, daß gelispelt und gelächelt wurde und nicht ausschließlich gnadenlose Tonnen von Bierernft und Verbiffenheit auf die Menschheit herabpraffelten … «Zum fünfundsiebzigsten

Weitere Kostenlose Bücher