Königsallee: Roman (German Edition)
besänftigen konnte und kanalisiert würde: Bald würde sie sich wieder, wußten die Eltern, den widerspenstigen Filmspezialisten zum Trotz, ans Ausfeilen der Dialoge der Buddenbrooks -Adaption setzen. Die Rechte lagen bei der Familie, eine Leinwandumsetzung des Werks würde in jedem Fall ohnehin nur eine Art Comic Strip werden, aber zumindest sollte die Verfilmung ein deutsches Versöhnungssignal setzen, indem Schauspieler aus Ost und West gemeinsam die Lübecker Mengstraße bevölkerten. Der Vater wünschte es so.
Erika Mann entkorkte die Sektflasche und schenkte sich ein. Sie nahm einen Pumpernickel dazu.
«Das Tagesprogramm ist geklärt», erfuhr sie von der Mutter, «kaum Mittagsschlaf. Ich werde ihn danach zum Interview begleiten.»
«Das wollte ich machen.»
«Ich werde die Journalistin bei der Verleihung der Ehrenbürgerschaft wiedersehen. So kann’s nicht schaden, wenn ich Frau Kückebein hier schon kennenlerne.»
«Und was soll ich tun?» grollte die Tochter und hob die Beine auf einen Schemel. Ihre Jacke schimmerte wundervoll.
«Fahr doch mit Golo nach Benrath. Das Zimmermädchen meint, der Schloßpark wär’ ein Blumenmeer.»
«Astern und Begonien?»
«Atem schöpfen.»
Die beiden Frauen maßen einander nicht mit Freude; Thomas Mann schickte sich an, auf den Balkon zu treten.
«Hast du’s ihm etwa gesagt?» zischte die Tochter leise. Katia Mann schüttelte minimal den Kopf: «Die alten Heusers kommen, falls wir sie erreichen.»
«Mehr verträgt er nicht», kam es energisch zurückgeflüstert. «Er braucht den Kopf frei für den Abend und für Luther. Das wird schwer genug. Und nicht für alten Herzensschmus.»
«Ohne Augenweide fällt ihm nichts ein. Lebt er nicht auf.»
«Arg viel Duldsamkeit, schon immer», bedachte die Tochter. «Aber das ist nicht mein Sorbet. Und dieser Klaus ist schon über vierzig.»
«Schluß!» befahl die Hausherrin so deutlich, daß die mögliche Beendigung eines erneuten Zwists auch auf dem Balkon vernommen werden konnte.
Diesmal klopfte es. Unnötig leise schob sich Golo Mann herein und grüßte mit: «Guten Morgen.» Die Stimme klang verkratzt. Ähnlich wie bei seiner Schwester, allerdings ohne milderndes Make-up, wies sein Gesicht Spuren einer strapaziösen Nacht auf. Stirnfurchen waren eingekerbter, und trotz Morgentoilette blieben Pfeifenqualm und Alkoholdunst spürbar: «Hast du’s ihm gesagt, Mielein? Seine Hauptfigur ist da», ging das Geflüster weiter.
«Hauptfigur, so ein Unsinn», wurde er von der Schwester zurechtgewiesen, «Heuser war nur einer im Parademarsch seiner Menschenbeute.»
«Aber sie haben sich geküßt. Er hat auf ihn den allergrößten Einfluß.»
«Mit seinem Gspusi vertreibt er sich die Zeit in Asien.»
«Er hat den Zauberer in seiner Empfindungswelt bestärkt.»
«Noch größere Unsicherheit in ihn gesät. Männerliebe, werter Herr Bruder, das geht nicht gut.»
«Andere auch nicht.»
«Sappho und ihre Priesterinnen lebten einvernehmlich.»
«Warst du auf Lesbos dabei? Kümmere du dich, Eri, um den Film.»
«Und du komm mit deinem Amerikabuch zu Potte.»
«Schneller, als du dachtest.»
«Und fahr uns nicht unangemeldet hinterdrein.»
«Das Amerikabuch willst du gar nicht, Schwesterherz, es preist die Freiheit und nicht die sozialistische Gängelung.»
«Imperialismus und Machtmißbrauch auf dem Rücken kleiner Leute!»
«Amerika ist unser Modell im Schlechten wie im Guten.»
«Ach ja. Zähmung der Banken und Linderung von Not?»
«Mein Denken steht für Tradition und Ehrgefühl.»
«Über Bord damit, Beißer, was die Katastrophen nicht aufgehalten hat.»
«Ich will, Madame Révolution, glaubwürdige Eliten und die gewahrte Form.»
«Ich will die Menschenrechte, uneingeschränkt.»
«Stil und Bildung garantieren die wahre Freiheit.»
«Gerechtigkeit und Frieden sind das Muß.»
«Edler Sinn, Madame.»
«Eher Menschlichkeit. Die Liebe zu den Geschändeten.»
«Begriffsgetöse!»
«Hör dich doch selbst.»
Katia Mann stand starr am Tisch: «Schluß», befahl sie laut und mit dem größten Nachdruck. «Ich verbiete jedes weitere Wort. Wir sind auf einer Lesereise. Und was getan und gesagt wird, das bestimme ich. – Essen», ordnete sie an, «das ist ja wie die Tölzer Kirmes. Das habt ihr in Ruhe zu erörtern, was förderlicher ist, das ungebundene, edle Gemüt, das aristokratische Prinzip oder die Menschlichkeit per Gesetz, das moderne Regulieren aller Unebenheiten. Ich glaube, ohne die würdige Aufsicht
Weitere Kostenlose Bücher