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Königsallee: Roman (German Edition)

Königsallee: Roman (German Edition)

Titel: Königsallee: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Pleschinski
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hakt es bei beidem.»
    Die erwachsenen Kinder staunten einander an.
    «Der Mensch ist doch zu gerne ein wildes Tier.»
    Wie so oft wurde die Mutter unterschätzt, in ihrer Zählebigkeit wie in ihrem finanziellen Know-how und womöglich noch in manch anderem. Allein ihre Schlüssel blieben fortwährend unauffindbar. «Tommy», drang ihre dunkle Stimme bis nach draußen: «Du stehst im Schatten! Gottfried und deine Tochter haben Hunger.»
    «Hier entgleist etwas», hörte sie Erika.
    «Was denn?» vernahm die nicht sehr großgewachsene geborene Pringsheim vom Sohn. Die Perlen schmückten ihre geprüfte Brust.
    Zögerlich, mit gesenktem Blick, näherte sich der Dichter seinen Nächsten. Appetit hatte er nicht. Bisweilen stützte die familiäre Entourage, wärmte, vielleicht öfters noch hielt sie einen gefangen, höhlte die Kräfte aus und definierte mit ihren Leben wie unentrinnbar das eigene, das doch auch völlig anders hätte verlaufen können. Wie klug war Goethe gewesen, als geradezu erschreckend freier Geist nicht einmal der Beisetzung der eigenen Mutter und der Ehegefährtin beizuwohnen. Was sie miteinander zu schaffen gehabt hatten, im Wohl und in wechselseitiger Zerreibung, war im Irdischen abgetan und durch den letzten Herzschlag besiegelt. Danach am Grabe nur zusätzliches quälendes Sentiment, das niemandem half und Kräfte für die eigene Erdenrunde verschliss, die Gedanken jenseitig nebulös machte, auf ein Wiedersehen im Paradiese, in der Hölle oder als Schwaden weit hinter den erkennbaren Milchstraßen sinnen ließ.
    Hienieden hieß es praktisch sein!
    Schwer genug.

Ungarisches Intermezzo
    Die Speise duftete köstlich. Direktor Merck zerteilte einen Happen Fleisch, der bereits beim Nahen der Messerklinge wohlgefällig zerfallen wollte. Appetitanregend zog die Melange von Kümmelaroma und Lorbeernuance in die Nase. Einem kleinen Gabelfrühstück zwischen Morgenkaffee und unregelmäßigem Mittagessen zu frönen, war vielleicht eine Marotte, doch eine höchst angenehme. Während seiner Lehre in den Baseler Drei Königen hatte Clemens Merck dieses Stärkungsritual beim damaligen Hotelleiter Stürzli kennen- und bewundern gelernt. Ein moderates Gulasch zwischendurch lenkte von Sorgen ab, stärkte die persönliche Souveränität und schmeckte. Im gesamten Europa – dem früheren Europa –, hatte der alte Stürzli erklärt, hätten vor dem Ersten Kriege alle höheren Beamten, kultivierte Unternehmer, Gutsbesitzer in Preußen oder in der Lombardei die Tageshast durch ein Gabelfrühstück unterbrochen, ja, nach der Stärkung sich mit einer Zigarre sogar für eine Viertelstunde zum Sinnieren in einen Sessel gesetzt und wären unansprechbar gewesen. Alsdann mit frischer Kraft wieder an die Pflichten! Und Jean-Urs Stürzli, ein Hotelier von Graden, geradezu eine Legende der Branche, der die Drei Könige in die erste Riege der Welthäuser gehoben hatte, kolportierte gerne aus seiner eigenen Lehrzeit in Budapest: An der Donau, in den einstigen kaiserlichköniglichen Zeiten, hätte man zwischen elf und zwölf Uhr vormittags nirgendwo vorstellig zu werden brauchen. In Buda wie in Pest genoß schier jedermann das Gabelfrühstück, in den Ministerien wurde aufgetischt, in den Postämtern wurden die Servietten umgebunden, die Kutscher löffelten ihr Zwischengulasch, ans Hafer malmende Roß gelehnt, die ganze Metropole besann sich, mehr oder weniger, beim Kleingenuß, die Armee war während dieser Stunde unbrauchbar, der Gerichtshof erlahmt, Ungarn und das Abendland leisteten sich, im Sinne des Lebens, ihr Verschnaufen. Dazu dann nicht selten ein Bier, ein Porterbier. Schmackhaft, wo gab es das noch? Dahin viel Wohliges und selbstbestimmte Pausen, der Schmand und die Crème fraîche des Daseins, die Kultur. So man es sich hatte leisten können.
    Ein dunkles duftendes Bier durfte sich Clemens Merck zu seiner Stärkung nicht gönnen; nicht nur wegen heikler Zuckerwerte, sondern danach wäre ein Schläfchen beinahe zwingend gewesen; aber das erlaubten die modernen Zeitläufte nicht. Strammstehen hieß die Devise, zu jeder Stunde, strammstehen für Wichtiges oder irgendeinen Murks, auf daß alles fortwährend schepperte und funktionierte; unverwüstlich, smart sollte ein jeder neuerdings sein, sonst hire and fire, Job haben, Job weg, wie in den USA; die Menschheit schien seit den Kriegen nicht mehr aus den Lauf- und Schützengräben herausgekommen zu sein, sich selbst laden, sich selbst abfeuern, Existenz als Tretmine und

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