Königsallee: Roman (German Edition)
zerborstenem Gewölbe und einem Notdach. Damit die Zeitläufte ihn nie tilgen würden, hatte sich dieser lustvolle Regent – die Staatsschulden fürs Glück ließen sich gewiß von verhärmten Nachfolgern abzahlen – bereits zu Lebzeiten auf hohem Sockel sein Bronzestandbild in die Residenz setzen lassen. Ein italienisch-flämischer Meister hatte den fürstlichen Reiter in Harnisch, mit Perücke und Kurhut, lebensgroß gegossen, die Bürgerschaft hatte offenbar begeistert Kupfer fürs teure Denkmal beigesteuert, und so ritt Jan Wellem, kinderlos vergangen, auf seinem kapitalen grünen Ross und mit dem Zepter in die Diesseitigkeit weisend, glückhaft unversehrt vom Markt weiterhin zum Burgplatz hinüber, ja, ritt wohlgenährt und unerschütterlich fast über den Strom, als wollte er noch nach Jahrhunderten die geizenden Niederlande mit seinem Karneval und Künstetumult beglücken. Nach ihm war es in Düsseldorf zumeist schläfriger zugegangen.
Es war nach vier Uhr.
In die Jan-Wellem-Stube im Zwischengeschoß des Breidenbacher Hofs eilte eine Bedienung mit Tablett und stellte drinnen Gläser, Wasser und einen Teller mit Pumpernickelhappen ab. An sich war es schwer begreiflich, daß nur eine eher entlegene Räumlichkeit nach dem beliebten Landesvater benannt worden war. Da jedoch in der Stadt und rundum Straßen, Plätze, jedes dritte, vierte Lokal sich mit dem Namen schmückte, Jan-Wellem-Eck, Wellem-Treff, war die Stube, beinahe als gediegene Besonderheit, im Mezzanin untergebracht worden. Durch bauliche Gegebenheiten war sie fast ein Schlauch. Allerdings mit acht Fenstertüren zum Innenhof. Eher überschaubare Ereignisse fanden unter den Lichtschalen statt, Kommunionsfeiern, Kaffeetafeln nach Beisetzungen, eine Vorstandssitzung des Tanzsportclubs Rot-Weiß. Bisweilen verkam ausgerechnet die Jan-Wellem-Stube über Wochen zum Abstellraum.
Der Kellner prüfte die bereitgestellten Sitzgelegenheiten, schloß einen Gardinenspalt und entfernte sich wieder.
Vor der Stubentür tauchte Minuten später ein roter Tupfer auf. Die feurige Erscheinung drückte ein bißchen mühsam die Klinke, spähte in den Schlauch, war wieder fort in Richtung der Erfrischungsräume, Herren- oder Damentoilette.
Abermals vergingen ruhige Augenblicke im Zwischengeschoß. Von den Geräuschen aus der Halle war über das Treppenhalbrund nur gelegentliches Telephonklingeln vernehmlich.
«Es war doch recht interessant. Ein Theatermuseum ist eine gute Sache, Tommy. Jahrtausendelang sind jeder Laut, jede Geste verweht, mit denen Schauspieler ihr Publikum verzaubert und in eine andere Welt entrückt haben. Nun kann man wenigstens die Straußenfedern sehen, mit denen Sarah Bernhardt sich zufächelte, von der Platte nachhören, wie Alexander Moissi den Faust tremolierte: Was sucht ihr, mächtig und gelinde, ihr Himmelstöne, mich im Staube … Große Güte, welches Pathos damals. Hat uns das wirklich gefallen?»
«Die Sammlung mag belehren und erbauen.»
«Ja, ja.»
Das Paar erklomm langsam die Treppe.
«Und daß sie in der Kunsthalle Bilder aus São Paulo ausstellen, finde ich äußerst überraschend. Allein der Transport übers Meer! Und wie kamen Raffael und Holbein zuvor nach Brasilien? Wußte man doch nicht, daß dort gesammelt wird. Am meisten hat mich der Schuljunge von van Gogh gerührt. Nein, man möchte den armen Knirps ans Herz drücken, damit er nicht mehr so entsetzt dreinschaut. Es wird einen Ansturm auf die Ausstellung geben.»
«Gerne sollen die Künste erstmals das Böse bannen.»
«Das hast du beim Rundgang auch sehr schön betont.»
Das Ehepaar hielt auf den Stufen inne.
«Nach dem Interview gurgelst du und legst dich hin.»
Er nickte. Katia Manns Knöchel waren geschwollen. Das Besuchspensum hatte das Paar erwartungsgemäß erschöpft. Doch das Erfrischende neuer Eindrücke hielt sich vielleicht noch immer die Waage mit dem lebenslangen Kräfteverschleiß. Das leichte Taftkleid und der helle Sommeranzug hatten sich in der Hitze leidlich bewährt.
«Darf ich Sie in die Stube geleiten?» Nachdem Herr Siemer vom Empfang heraufgeeilt war, sich verbeugt und gleichzeitig eine Stufe genommen hatte, setzten sich auch die Manns wieder in Bewegung.
«Kückebein?»
«Von den Lübecker Nachrichten .»
«In Düsseldorf», seufzte der Dichter.
«Warum nicht? Vorbereitung für die Ehrenbürgerschaft.»
«Ist die Dame schon eingetroffen?» fragte Katia Mann.
«Nachdem sie mehrmals auf die Klingel geschlagen hatte, wurde sie
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