Königsallee: Roman (German Edition)
heraufgeschickt.» Der Hotelangestellte hüstelte und schaute sich um.
Damit Journalisten es sich in der persönlichen Unterkunft nicht allzu bequem machten, mitunter sogar einen Gegenstand als Andenken einsteckten – in Cleveland war Thomas Manns Brillenetui verschwunden geblieben –, und überhaupt aus Gründen der Sachlichkeit war das Gespräch an neutralem Ort vereinbart worden. Oskar Siemer ließ die Gäste in den Wellem-Raum eintreten. In den Staaten wäre ein Trinkgeld unvermeidlich gewesen, hier dankte die Gattin mit einem verbindlichen Nicken. Im milden, hellen, von den Vorhängen gefilterten Licht nahmen beide im Stubensaal auf den Stühlen Platz, auf denen sie bereits beim gestrigen Eintreffen in der Halle gesessen hatten. Neugotisch Gedrechseltes, steil, mit Armlehnen, zwischen denen sich spanische Inquisitoren bei Urteilsverkündungen wohl gefühlt hätten.
Katia Mann räusperte sich, der Gatte ebenfalls. «Höchstens eine Viertelstunde.»
«Auf keinen Fall länger.»
Wohltuende Stille erfüllte den Schlauch. Aber sie war unpassend. Wo blieb die Lübeckerin, die von jeder Bahnstation aus einen Gesprächstermin erfleht hatte? Katia Mann blickte auf ihre Uhr und schenkte Wasser ein. Die Erfrischung tat gut. «Du liest die Zirkuspassage?»
«Oder Krull bei Madame Houpflé.»
«Egal», konzedierte sie, «bald geht es heim.»
Allmählich warf man einen mißmutigen Blick zur Tür.
«Mußten die alten Heusers eingeladen werden?»
«Ach, Tommy.» Sie faßte ihm an den Arm. «Ich habe auch ein Telegramm an Bertram geschickt. Du mußt dich mit ihm versöhnen. Er wohnt nur ein paar Kilometer weit weg. Nicht mit mehr Zwist als nötig von hier scheiden.»
Thomas Mann saß starr.
«Deine Bücher hat er von seiner Bücherverbrennung ausgenommen.»
«Das soll ich ihm danken?»
«Nein», sprach Katia Mann über die Schulter zum Gatten neben sich, «aber ich weiß, daß Unversöhnlichkeit dich zermürbt. Du gibst Bertram die Hand … sagst: Ich will ans Gute denken und nicht mehr ans Schlechte. Ihr Rat war mir ehedem teuer, über Ihr späteres Treiben möge die Nachwelt befinden … Seine Pension ist ihm ja ohnehin gestrichen oder gekürzt worden. Dann wendest du dich wieder den anderen Gästen zu.»
«Du meinst, er gibt sich damit zufrieden?»
«Soll er.» Sie atmete schwer «Ja. Die Heusers werden kommen», flüsterte sie beinahe, «im äußersten Fall bist du einfach unpäßlich, und Eri und Golo können dich vertreten.»
Er blickte verwirrt. «Ich weiche nicht aus, Katia. Das weißt du.»
«Mal sehen», raunte sie. «Es wird kein leichter Abend.»
«Bertram, die Heusers, bewältigbar.»
«Eine interessante Familie», brachte sie, vielleicht durchs Treppensteigen ungewohnt stockend, vor. «Und gar nicht so klein.»
Mit einer Handbewegung unterband Thomas Mann weitere Ausführungen. Beider Finger trommelten geräuschlos auf den Lehnen. Es war unerhört, daß eine Provinzreporterin hochbetagte Nobelpreisträger in einem Schummerschlauch warten ließ. Allein schon im Namen der Kunst und der Achtung vor ihr war weiteres Ausharren zu beenden und der Termin ganz unten ad acta zu legen. Thomas Mann erhob sich mit einem Blick zum Fenster, während er seine Ehegetreue ein dunkles «Aaah» ausstoßen hörte. Er wandte sich um, sah aber nichts, außer Rot, etwas Rotes am Boden, über dem Boden, einen geschwinden Kloß, einen Kugelblitz, der sich näherte, rotes Schuhwerk, glänzend, Haar leuchtend in ebender Farbe, ein Kostüm, Feuerlilie, Unterschenkel, säbelartig in nicht roten Strümpfen.
«Tommy!» vernahm er.
«Feuilleton von der Waterkant!» hörte er, « Lübecker Nachrichten , oft gescholten, viel gelesen, zumindest, wo sie gekauft werden können. Pardon, nicht zu spät. Eher zu früh da gewesen. Und nun scheinbar doch verspätet. Kückebein, Gudrun. O welches Glück, o unerhörte Ehre. Thomas Mann. Zum Gespräch. Jede nachgeborene Kollegin wird’s mir neiden. Ich darf ihn fragen. Ich. Er kann antworten. An der Seite der herrlichen Gattin. Oh, die Pilgerfahrt lohnt schon jetzt. Ich sehe Sie. Atme die Luft mit Ihnen. Könnte Ihre Schnürsenkel berühren, Thomas Mann. Dazu die Pharaonin dieser Zeit. Das musische Haus Pringsheim. Wen sahen, wen sprachen sie nicht alles! Alfred Döblin und Gustav Mahler, Hofmannsthal und Richard Strauss, Gustav Stresemann?, Präsidenten und den Papst … Sie sind in der Welt zu Haus und die Welt in Ihnen, ja, wie Goethe neu, o großer Mann. Förmlich fühlt man das
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