Königsallee: Roman (German Edition)
Invasoren hier, Besatzer dort. Europa, gerade am Rhein, ist ein Zusammenspiel von Onkel und Tante, ja, ein Quodlibet von Seitensprung und Fehltritt. Höchst athletisch, wenn man’s bedenkt. Wer will sich in solcher Gemengelage in der Gewißheit wiegen, nicht unversehens und unwissentlich vor seinem eigen Fleisch und Blut zu stehen? Manchmal wird es kakophon wie eine neuere Symphonie, die dennoch in sich gebündelt ist.»
«Was?» Mit weiterer Verwirrung und einem Schock, den er im Augenblick nicht durchforschen konnte, schloß Clemens Merck die Türflügel, während die wunde Besenfeldt sich mit vergleichbaren Gefühlen wißbegierig aus dem Stuhl stemmte.
«Ich sprach von tieferer Verwandtschaft, Herr Generaldirektor, als ich um einen Termin ersuchte.»
«Noch tiefer?» Merck maß die Hilfskraft, die zwar akkurat dastand, fast mit den Händen an den goldenen Biesen, von der aber dennoch etwas Verwerfliches ausging … weiblichen Gästen Dessous in die Schubladen legen, womöglich nach Sonnenuntergang noch den Paris spielen … gegen Entgelt? … Falls es mit solchen Konstellationen schon sein Bewenden hatte. Aber ein Verwandter! Wie? Warum, wo denn? Wann? Frucht einer der eigenen schönen Stunden in Basel? Kompliment. Zu den strohblonden Nichten und Neffen im Markgräfler Land, die allesamt enorme Zahnprobleme hatten, paßte der sündig Schöne mit der aparten Handäderung keinen Augenblick. Ein Ring am Finger, eine kleine goldene Armbanduhr hätten ihn vortrefflich geschmückt. War aber eigentlich unerheblich. Merck grollte willentlich. Was hafteten diese dunklen Augen so an ihm, mit Würde flehentlich, als hätte er, Merck, final über das Jungen-, das Jünglingsschicksal zu entscheiden?
«Mein Sohn?» entfuhr es dem Direktor.
Scheu senkte sich der Kopf.
Merck öffnete wie in Trance die Arme und wollte ihn, das Wunderwerk seiner Lenden und einer Schweizerin, an die er sich nicht erinnerte, an sich drücken. Alles familiäre Unheil käme später.
«Eine Verwandtschaft, die enger nicht sein kann, Herr Direktor. Jene der Berufung.»
«Sie sind nicht mein Sohn?»
«Ich wäre es zu gerne.» Der Bursche blickte verzagt auf seine Lackschuhe.
Mit kräftigem Räuspern versuchte Clemens Merck sich zu fassen, aber die Champagnerbrut machte es einem schwer. «Sie, Herr Direktor», und es hatte den Anschein, als wollte Monsieur Armand niederknien, was er jedoch nicht tat, «sind durch hartes Ringen, Sorge sogar in jeder Minute, die vom Berufe frei sein sollte, durch Pflichterfüllung und Umsicht, die ich von Anfang an, seit zehn Tagen, entlang der Königsallee preisen höre, zu dem geworden – falls ich es so umschreiben darf –, was Sie darstellen, Fels in der Brandung, Behüter des Gastgewerbes und sein Förderer weit über den engeren Kreis hinaus. Und an diesen Förderer wende ich mich, um mich aus dem Käfig zu befreien.»
«Stehen Sie auf.»
«Aber ich stehe doch, Herr Direktor.»
«Und was wollen Sie?»
«Brachte ich es nicht vor?»
«Ich glaube nicht. Von dissonanten Symphonien am Rhein sprachen sie und von Onkeln.»
«Stufe um Stufe Ihnen nacheifern. Das möchte man. In Jünglingsjahren – wann denn sonst? – vom Vorbild lernen. Eines fernen Tages sagen können, im Breidenbacher Hof begann mein Glück unter einem Schirmherren, Herrn Dr. Merck, der mir meine Mängel, die ich zu beheben wissen werde, nachsah, mich mit Verantwortung betraute, der zum Vater meiner Zukunft wurde. Das, Herr Generaldirektor, ist mein Trachten und meint keimende Verwandtschaft. Und diese Berufungsfamilie bindet oft beseligender und tröstlicher als schicksalsstumpfe Blutsbande, ja, als Weib und Kind es oftmals vermögen.»
Merck räusperte sich unklar. «Schon gut. – So denn. Do you speak English?»
«I certainly do, Sir. Of course, Sir, quite naturally I do. Why shouldn’t I? It’s a very nice and comfortable language.»
«Warum drehen Sie die Nase so in der Luft herum. Ich habe Sie nur nach Ihren Kenntnissen gefragt. Parla italiano?»
«Ma Signore, che cosa mi domanda? Sono veramente innamorato di questa bellissima lingua, la più bella del mondo.»
«Das ist ja ganz verblüffend!»
«Una lingua musicale.»
«Fallen Sie mir nicht ins Poetische. Davon wird mir ganz schlecht. Wir lassen zum Five o’clock manchmal Dichter auftreten, wenn sie etwas anzuziehen haben, und sie dürfen ihre Verse rezitieren. Die Damen …»
«Si, si, le donne adorabile, the ladies of Düsseldorf, Mesdames du Rhin, les fleurs du
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