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Königsallee: Roman (German Edition)

Königsallee: Roman (German Edition)

Titel: Königsallee: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Pleschinski
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Weltrund, ich meine, seinen zivilisierten Teil und dessen Schätze. Ich will mich mäßigen, es ist nur Gudrun Kückebein, die sich in ihrer Vaterstadt – oder was noch von ihr übriggeblieben ist – in den Zug schwang, um mit ein paar Gesprächszeilen ihre Landsleute, oder muß ich sagen: ehemaligen, auf die große Ehrung im nächsten Jahr einzustimmen. Thomas Mann, Sie machen mich fassungslos, was gar nicht gut ist für einen minimalen Austausch. Sie, Ihr Ruhm werden länger währen als die Patrizierhäuser in der Mengstraße, die nicht mehr stehen. – Doch ich beruhige mich. Welch Überschwang. Aber ist der Mensch nicht allzuoft zu nüchtern und prosaisch? Das Leben braucht die Ausflüge ins Irrwitzige und angenehm Phantastische. Niedergedrückt wären wir sonst allesamt und nur die toten Kugeln eines Kugellagers. Das wär’ nicht recht. Und ich bin da.»
    Das war sie. Zweifellos. Kugel. In etwa. Katia und Thomas Mann, so weltversiert sie waren, hatten Mühe, Schreck und Überraschung zu verbergen. Eine Zwergin. Das lübische Feuilleton wurde von einer Zwergin kreiert. Kein Wunder, daß der Hotelangestellte sie beim Hereinkommen erst nach mehrfachem Klingelschlagen wahrgenommen hatte. Doch zumindest die stracke, hochgeföhnte Dauerwelle in Rubin hätte ihm vor der Tresenkante ins Auge stechen können. Frau, Fräulein Kückebein benutzte die Fußleiste des dritten gotischen Throns als Leitersprosse und schwang sich vor dem großen Paar auf den Sitz. Sie war erhitzt, der Puder körnte leicht auf sommerlicher Transpiration, der dicke Lippenstift besaß wohl ohnehin eine feuchte Note. «Oh, Sie rauchen noch?» wandte sie sich aus ihrer Platzgewinnung zum Dichter. «Dann darf man vielleicht auch. Ich meinte, Sie hätten im legendär gesundheitsbewußten Kalifornien allen Genuß fahrenlassen.»
    Er hatte die Fassung wiedergewonnen. «Der blaue Rauch beruhigt, so es nötig ist, nicht nur die Nerven» – War nun Fräulein oder Frau zu sagen? – «und ist zugleich ein Zeichen der Freiheit. Wo guter Tabak, wahrlich eine Kulturpflanze, oder auch der Likör einem Verdikt verfallen, ist der Weg zur Gängelung, ja zur Tyrannis über die privatesten Lebensverhältnisse geebnet, Fräulein Kückebein. Insbesondere das Abendland erschuf aus Rausch, dem kleinen und dem großen, genährt aus geistigen Stimulanzien, maßgebliche Civilisation. Kaltes Kalkül und eine allzu beklommene Sorge um den bloßen nichtigen Erhalt des Leibs haben auch eine tote Gesellschaft im Gefolge. Wehe den nur noch schal beflissenen Generationen. Sie hinterlassen Turnübungen statt Leben.»
    «Ich sehe es wie Sie», setzte sich Gudrun Kückebein zurecht, «aber gerade Senator McCarthy, Amerikas Kommunistenjäger, und die jungen arabischen Staaten, soweit es sich im Falle Saudi-Arabiens und Jordaniens derzeit schon beurteilen läßt, setzen streng auf kampftüchtige Amerikaner und einen stocknüchternen Islam. Höchst ähnlich. Dabei soll McCarthy selbst Alkoholiker sein. Und der saudische Kronprinz auch.»
    «Wir wollen uns jetzt nicht auf ekle Diktatorengemüter und schwächelnde Kulturen einlassen, die in Verbot, Unterdrückung und Ausgrenzung ihr Heil suchen.»
    «Fürwahr ein großes Thema, und ganz am Rande erwähnt.»
    Vielleicht achtsamer als ihr Gemahl, der zur Beruhigung schmauchte, behielt Katia Mann die sichtlich patente Reporterin im Auge. Deren Kostüm spannte an den Nähten. Die Minderwüchsige schien, wie es wohl öfter der naturgegebene Fall war, eine gewisse Schichtung von Wülsten zu sein, die seltsamerweise aber auch ein körperliches Wohlbehagen verbreiteten. Ob lang oder kurz geraten, Fleischpolsterung gaukelte stets dies Einverständnis zwischen Innenleben und Körper vor. Ein Kampf um klassische Perfektion schien minimiert. Fräulein Kückebein kramte in ihrer Tasche, zündete sich mit dem Benzinfeuerzeug eine Overstolz an und förderte sodann Papier und Bleistift zutage. Katia Mann lächelte, was sich in einem kurzen Kräuseln der Lippen andeutete. War auch das berühmte Marzipan an der roten, kaum gebändigten Fülle in knapper Ausdehnung mit schuld?
    «Thomas Mann – darf ich Sie so ansprechen, oder bevorzugen Sie eine andere Anrede?»
    «Es ist recht so.»
    «Wie arbeiten Sie?»
    Katia Mann war enttäuscht. Nach dem Handwerklichen war sich seit einem halben Jahrhundert vieldutzendfach erkundigt worden. Doch der Befragte konnte, seinem kurzen Plaidoyer für geistigen Rausch zum Trotz, als ein Wunder an Selbstbeherrschung

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