Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Königsallee: Roman (German Edition)

Königsallee: Roman (German Edition)

Titel: Königsallee: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Pleschinski
Vom Netzwerk:
faschistischen himmelweit unterscheidet. Nutzen Sie Ihre Macht, um Gnadenakte herbeizuführen. Unbegnadet ist der starre Wahn, allein die ganze Wahrheit und das Recht auf unerbittliche Grausamkeit zu besitzen. Wer aber Gnade übt, der wird Gnade finden.»
    Die Stille im Zwischengeschoß war angemessen. Ein leises «makellos» der Feuerhörnigen entschwand darin. Kurz faßte sie die goldene Kette über seiner Weste ins Auge. Verborgen in der Tasche mochte daran jene Glashütte-Uhr mit passablem Gehäuse ticken, die er, wie Kenner wußten, 1905 zur Hochzeit von den wohlhabenden, den bekannt freigeistigen Großeltern seiner Gattin geschenkt bekommen hatte; als fulminante Frauenrechtlerin hatte die Schwiegergroßmutter – Hedwig Dohm – ihrerzeit den starren Eindringling ins Familiengeflecht und den frühen Ehepakt ihrer Enkelin nur bedingt gutgeheißen.
    «Jüngere Leser, Thomas Mann, richten sich gerne an jüngeren Künstlern und Schriftstellern aus. Die Erfahrungen und Weltbilder sind sich nahe. Das ist der Gang der Dinge. Wie handhaben Sie solches Fatum?» Trotz der Sommerhitze, die im Jan-Wellem-Schlauch nur stickige Luft war, schien sich Eisigkeit auszubreiten. Katia Mann schwieg und versagte sich, auf Verkaufszahlen, zahlreiche Verfilmungsprojekte hinzuweisen. Es konnte passieren, daß die ungute Person daraufhin von einem finalen Flackern des Interesses am Werk des Gatten spräche, der letzten Ernte nach viel Aussaat. Die Rote wackelte auf ihrem Gesäß: «Fast ein Zeitgenosse von Ihnen ist Franz Kafka, dessen Werk zunehmend als ein Gleichnis der modernen Welt bestaunt wird, gemünzt auf den aller Selbstbestimmung und Geborgenheit entblößten Menschen, der von anonymen Kräften zerrieben wird. Haben Sie Franz Kafka kennengelernt?»
    «Solches hat sich nicht ergeben.» Die Disziplin Thomas Manns schien sich jetzt als Selbstbezwingung zu erweisen, deren Grad Fräulein Kückebein interessiert beobachtete. «Gewiß spät, wie so viele, habe ich die Seinsdurchdringung Franz Kafkas gleichwohl mit Überraschung und Genugtuung wahrgenommen, ihn sorgfältig studiert: Da ist einer, wußte ich, der zu Lebzeiten so unselige Kafka, der keinen falschen Schein von Glück erweckt. Wenn er unsere Ohnmacht zeigt, so nehme ich dies zugleich als Warnung, uns dem Übermächtigen, das uns erniedrigen und verzehren will, nicht wehrlos zu überantworten. – Ich gestehe», er machte eine Pause, und beide Frauen behielten ihn im Auge, «daß ich bei der Lektüre von Kafkas Verfolgungsalpdrücken oft spontan auflachen mußte. Jedes Wesen bei ihm ist dermaßen bedrängt oder bedrängend, keine Luft zum Atmen, grandios empfunden, daß das Lachen als Erlösung bleibt, als Verweigerung, und man hernach unter dem Joch des eigenen Alltags fast gerne, und klüger geworden, weitertrottet.»
    «Sie lachen, wenn Gregor Samsa morgens im Bett als Käfer erwacht?»
    «Auch, denn es ist ein wahres Gleichnis, doch nicht das ganze Leben, in welchem eine Tasse Kaffee bisweilen erquickt. Der Verlust von Selbstbestimmung, den Sie ansprachen, meint, deucht es mich, auch stets ein persönliches oder gemeinschaftliches Versagen, dem entgegenzusteuern ist.»
    Wie auf ein Zeichen tranken alle drei einen Schluck Wasser und ließen die Pumpernickel unbeachtet. Ein Patt schien bei diesem unvermutet bösartigen Gespräch erreicht zu sein. War eine weithin unbekannte Kückebein gekommen, um an einem Thron zu sägen? «Ich muß es wissen, Thomas Mann. Der neue Existentialismus, das Absurde Theater, Samuel Beckett … sind Ihnen diese geistigen Eruptionen überhaupt geläufig?»
    Katia Mann schlug auf die Lehne. Hätte es eine Glocke gegeben, sie hätte geläutet.
    «Schriebe ich Tagebuch», er strich mit dem Ringfinger über eine Braue, «würden Sie es schwarz auf weiß erfahren können.»
    «Schreiben Sie es nicht?»
    Er blieb die Antwort schuldig.
    «Wie plazieren Sie sich selbst, das ist doch wichtig …»
    «Ist es?»
    «… in einer geistigen Landschaft, der innerlichen Wüstenei nach dem Krieg, wo an kein Heil mehr geglaubt werden kann. Treue, Vaterland, Kirche, die angesichts des Tötens versagte, die Menschheit auf Trümmern und Blut. Das Absurde Theater und der Existentialismus legen Zeugnis davon ab, daß wir nur noch taumelnde Insekten sind.»
    «Das ist etwas interessanter, auch von Ihren Fragen her», ließ Katia Mann scharfzüngig, aber auch aus einer angeborenen Diplomatie heraus einfließen, «als mancherlei, was Ihre amerikanischen Kollegen

Weitere Kostenlose Bücher