Königsallee: Roman (German Edition)
verlaufen möchte. Gustav Aschenbachs Drang in Venedig war es nun einmal nicht, über die Drainage von Souterrainwohnungen am Canal Grande zu diskutieren. Zumindest stand dies für ihn nicht im Mittelpunkt seiner seelischen Aufwühlung, schier unmögliches Glück zu finden.»
«In Zeiten der Cholera hätte er sich durchaus für die sanitären Defizite der Kommunalbehörden im Veneto interessieren können.»
«Hat er aber nicht. Vielleicht weil alles dem Vergehen entgegenschleudert, mit ein paar Monden Differenz. Verlangen Sie von einem Bariton, daß er Mörtel rührt? Wollen Sie auschließlich Mörtel und keinen Gesang mehr?»
«Stich», gestand Fräulein Kückebein zu. «Apropos Ostzone. In den USA wurden Sie in den letzten Jahren verdächtigt –»
«Ich wurde immer wieder einer freisinnigen Menschlichkeit bezichtigt, falls Sie das meinen.»
«– sich mehr und mehr dem Kommunismus zuzuneigen. Ist das nicht kurios angesichts Ihrer Herkunft und Ihres Lebensstils?»
«Hat ein passables Uhrgehäuse etwas mit Gerechtigkeitssinn zu schaffen?»
«Nicht doch, nein. Aber die halbe Welt ist unter das Regime des Kommunismus geraten. Die Blöcke stehen sich zum Todeskampf gegenüber. Und Sie haben den Goethepreis im sozialistischen Weimar entgegengenommen.»
«Sowie in Frankfurt, ich binde mit schwacher Kraft die Teile, die mordbereiten.»
«Befürworten Sie die Abschaffung von Privateigentum? Diese totale und verordnete Volkswohlfahrt, die sich der Osten aufs Banner geschrieben hat? Wobei doch wohl wieder viel Stechschritt und Unterjochung dabei herauskommt, wie man bei Paraden und in den Gesichtern sieht.»
Thomas Mann lachte auf und wies mit der nächsten Zigarette, die er sich angezündet hatte, in die dumpfe Luft der Jan-Wellem-Stube: «Irgendwo in Kalifornien, ich glaube, bei Fritz Lang, hörte ich den Witz: Welche drei Plagen der Menschheit hat Deutschland hervorgebracht? Antwort: Karl Marx, die Bauhausarchitektur und Adolf Hitler.»
Auch im Umblättern der Seiten am Spiraldraht war die Zwergin geschwind. «Sie werden das Interview», schaltete sich Katia Mann ein, «vor der Veröffentlichung zum Gegenlesen bitte nach Zürich schicken. Das ist üblich.»
«Gewiß. Es kann durch Präzision nur an Pointiertheit gewinnen. Auch wenn unsere Leser es vielleicht nicht so kennerhaft wahrnehmen.» Sollte diese Auskunft beruhigen? «Wie stehen Sie zu Stalin und Walter Ulbricht?»
«Auch auf die Gefahr hin, daß Sie sich im Text wiederholen müßten, Fräulein, ich insistiere auf Freiheit, Gerechtigkeit und Wohlfahrt. Wahrscheinlich war demgemäß die beste Zeit, die ich erleben durfte, das Kaiserreich, die Republik von Weimar, Pacific Palisades bis kurz vor Schluß. Kommunistische Ideologie gleicht im Kern christlicher Botschaft von radikaler Nächstenliebe. Aber welche grausamen und beengenden Verwirklichungen schroffe Programme stets zur Folge haben. Also doch viel lieber und von Herzen Schulterschluß mit Schiller und seinem freien Aufruf, mitmenschlich zu sein, nie den Nächsten zu zermürben, niederzutreten. Das reicht als Daseinsdevise. – Häßliche, weil ideologische Themen, wenn Sie mir die Anmerkung gestatten.»
«Mit dem Unverdaulichen müssen wir uns plagen. Sonst wäre die Erde schon das Paradies.»
«Auch langweilig», befand Katia Mann: «Viele Notleidende aus aller Welt wenden sich an uns», fuhr sie unter sichtlichem Interesse der Protokollantin fort. «Unlängst hat sich Thomas Mann für Verfolgte und Zuchthausinsassen in der Ostzone eingesetzt. Es ist ja nur zu wahr, daß Andersdenkende dort abgeurteilt werden wie weiland Nazi-Gegner vor dem Volksgerichtshof. Thomas Mann hat einen Brief an den Parteiobermann Ulbricht geschrieben. Vier Tage lang daran gefeilt.»
Verblüfft ließ die Kleine erstmals den Stift sinken.
«Und das brauchen Sie auch gar nicht mitzuschreiben», ordnete Frau Thomas Mann an, «derlei Interventionen müssen diskret bleiben, wenn sie wirken sollen. – Was hast du», wandte sie sich ihm zu, «dem Ulbricht und seinen Genossen noch mitgeteilt?»
«Nicht doch.»
«Sie wird’s nicht stenographieren.»
Die Journalistin blickte ergrimmt.
«Oder wir streichen’s.»
«Nun, ich habe dem Parteivorsitzenden klargemacht: Wenn der Kommunismus den Frieden will – und ich glaube, daß er ihn will», statuierte Thomas Mann im matten Licht, «so sollte er alles tun, um einem Humanismus Vorschub zu leisten. Er sollte jede Sorge tragen, daß sein Totalitarismus sich von dem
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