Königsallee: Roman (German Edition)
vielleicht ein großer Geschichtsschreiber.
Absurd. Und wahrscheinlich würde sich am Eingang die wachsame Tochter ohnehin ihnen entgegenstellen und in ihrer Unverblümtheit anordnen: Hier ist Schluß. Geschmackloserweise doch gekommen? Ihr werdet den Vater nicht sehen. Er ist zu erschöpft. Ich geb’ euch Geld für die Eisdiele.
Wie peinlich. Obendrein in der Nähe der eigenen Eltern.
Klaus Heuser setzte sich auf eine Bank in der Jägerhofallee. Es war ein Fehler gewesen, Asien zu verlassen. Daraus hatte sich der Kurzaufenthalt bei den Eltern ergeben, die Flucht ins Hotel, wobei kein Prophet hätte menetekeln können, daß unangemeldete Besucher die Mansardenzimmer überrennen würden, um zu singen, zu betteln, niederzuknien und mindestens ein Jahrhundert Revue passieren zu lassen.
«Noch nie so bedrückt», betrachtete Anwar Batak Sumayputra den Freund. Im Haaröl des Paares schimmerte das Laternenlicht der Alleepromenade. «Lieber weg?»
Klaus zuckte die Achseln. Bisweilen beschlich ihn die abscheuliche Frage, ob er ohne den Gefährten an seiner Lebensseite nicht seit Jahren ein selbständigerer und entschlossenerer Mensch wäre. Durch die Zweisamkeit fanden nicht nur die Freuden ihr Echo, auch die Lasten wurden verteilt – sehr zugunsten von Klaus –, so daß er sich oft bequem ins Ehegleiche wegducken konnte. Der andere würde es schon meistern. Klaus hoffte, daß Anwar möglichst nie dieselben Gedankenspiele hegte, nämlich allein frischer und energischer zu sein. Gewiß wäre jeder für sich eher verlorener, eisiger. Natürlich hatte nach vielen gemeinsamen Jahren die wechselseitige Körpersehnsucht nachgelassen. Oder sie war im Gegenteil heimlich intensiver geworden. Klaus wußte, wo sich Anwars Narbe vom Bootskentern in der Kindheit befand, und gegen die triefende Nase hielt der Gefährte Teebaumöl zum Inhalieren bereit. Man konnte – jünger wurde keiner – alles gemeinsam durchstehen oder für irgend etwas Neues – zunehmend letzte Versuche – gräßlich die Bande zerreißen. Die Gewinn- und Verzichtrechnungen blieben überall offen. Jede dritte, vierte Nacht zielte beim Einschlafen irgendeine sich von selbst meldende Wut auf etwas anderes, auf Ärger im Kontor, zu große Nachsicht, auf eine beiläufige Zumutung. Im chaotischen Universum einen Mann zu haben, war ein beachtliches Fundament, ein Geschenk.
Unter der Laterne unweit des Hoftors eines nahegelegenen Bürgerhauses zog Klaus Heuser das Schreiben auf Hotelpapier aus der Jackettasche. Wahrscheinlich war diese Mitteilung, wie die Postkarten Thomas Manns, schon rein materiell viel wert und mochte dermaleinst in einem Auktionshaus versteigert werden. Die Schrift war groß, dieselben in sich variierenden Buchstaben, augenfällig die unterschiedlichen G und P, die wirkten wie aus einer Tüte forsch aufs Blatt geschüttet. «Es ist doch eine eindeutige Einladung?» fragte er hinauf. Der Freund konnte das wahrscheinlich nur nach Gespür beurteilen.
d. 26. VIII. 1954
Sehr geehrter Klaus Heuser,
mit Freude habe ich gehört, daß Sie wohlauf sind. Es hätte in den vergangenen Zeiten schlimmer ausgehen können. Da nach einer (restlos) ausverkauften Lesung von Thomas Mann am heutigen Abend im Künstlerverein ein Empfang stattfindet, würde es uns Freude bereiten, Sie und Ihre Begleiterin unter den Gästen zu sehen. Beginn ca. halb zehn.
Mit freundlichem Gruß, Ihre K. Mann
Anwar Batak schien verstimmt. In puncto Begleitung hatte die Dame offenbar etwas mißverstanden.
«Überschwenglich klingt die Aufforderung nicht», befand Heuser und faltete das Papier, «aber dazu hat sie auch nicht allen Grund. Immerhin: aufmerksam und comme il faut. Alte Schule.»
«Meine Schule war auch alt.» Diese Redewendung verstand der Indonesier nun einmal nicht. «Weg ist das Ziel», wies er die Platanenreihen der Allee entlang.
Ein paar Jungen preschten an ihnen vorbei, nicht ohne nach dem Dunklen zu gaffen. Einer der Burschen, die sich bemerkenswert spät austoben durften, mußte Indianer sein. Hinter seinem Stirnband ragten schief Geflügelfedern auf. Die Bande schoß «peng», «peng» mit Astknüppeln. Schon bald erschien ein Schutzmann in Breeches auf einem Fahrrad. Falls es seine Absicht war, die Jungs zu stellen, erschwerte ihm der nach unten gerichtete Kegelschein seiner Lampe die Suche. Indianer hatten hier noch tüchtig für ihre Freiheit zu kämpfen. Bei einem Blick zur Seite schien der Ordnungshüter, auf seinem Drahtesel wider Willen optisch
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