Königsallee: Roman (German Edition)
ruhig zuging. Mira und Werner Heuser hatten sich am Saaleingang mit dem Malerkollegen Campendonk zusammengefunden und begutachteten das Interieur des neuen Künstlerhauses. Für die beiden Künstler verlangten die weißen Wände vermutlich nach Bemalung oder Mosaik, aber dergleichen war offenbar nicht vorgesehen. Die Mutter in pompöser Seide winkte aus dem Zigarrenrauch herüber, gab Handzeichen, die neben Prosit, Migräne, Treffen hinterher allerlei bedeuten mochten. Vom Flußufer hatte sie ehedem einem Rennachter so inständig zugewinkt, daß die Ruderer eine Boje gerammt hatten. War solcher Empfang noch mit Dichtung verbunden? Oder siegte der gesellschaftliche Schaulauf? Durch recht schmale Schwenktüren wurden Klaus Heuser und Anwar Batak in den Saal geschleust. Jenseits des Gewühls, vor den Gartentüren, öffnete sich der illuminierte Park. Weißbläulich sprudelte im Hintergrund die altvertraute Fontäne.
«Ich denke, die Energiekooperation mit Neuss ist unter Dach und Fach.»
«Das nenn’ ich flott verhandeln, Herr Kollege.»
«Verehrte Frau Stadträtin. Das ist nicht das Ende. Irgendwann, meine ich, müssen kommunale Betriebe, sogar die Post, in Privathand.»
«Sind Sie bei Sinnen? Das bedeutete die Entmachtung der öffentlichen Hand, der Öffentlichkeit.»
«Im Gegenteil, Frau Zollicz. Wo es um Privatgewinn geht, wird flexibler agiert. Näher am Kunden.»
«Ich bitte Sie, Giesewind, wozu bräuchte es dann noch unsere Verwaltung? Ein Land ist doch keine Firma. Auch der Markt muß dem demokratischen Allgemeinwohl nachgeordnet bleiben.»
«Markt ist Demokratie.»
«Nur der eingehegte.» Die Baubeamtin und das Ratsmitglied für die Stadtwerke wandten sich dem Buchhändler Overbeck mit derzeit drei Fililalen zu, der seinem Nebenmann gerade darlegte: «Es mag noch viel Schnickschnack kommen. Doch das Gedruckte, das bleibt. Über markante Bücher, Mertesacker, wird noch zwei, drei, was sage ich, zwanzig Jahre lang gesprochen. Literatur besitzt ein Nachwirken, das meines Erachtens auch dem Radio fehlt. Bücher und das fortdauernde Gespräch über sie sind das Protokoll unseres Wesens. Wer wollte sie je beiseitelegen? Wer würde auf die Besinnung, Vertiefung verzichten, die Gutenberg ermöglichte? Natürlich habe ich in meinem neuen Laden erst einmal ausmisten lassen. Wir müssen in den Vordergrund stellen, was die Kundschaft lesen zu sollen meint. Die Zeiten des müßigen Herumstöberns in hinteren Regalen, die auch bewirtschaftet werden wollen, sind vorbei.»
«Und verlief’s gut?» erkundigte sich Frau Zollicz bei dem kahlköpfigen Unternehmer. Der nickte zufrieden: «Noch subventioniert mir unser Star die gesamte Lyrik. Zur Abpolsterung», und er faßte Richard Giesewind an die Schulter, «habe ich mich in eine Tankstelle eingekauft. Eine Quelle der Zukunft.»
«Meinen Sie nicht auch, Frau Zollicz», wurde die Stadträtin linker Hand ins Gespräch gezogen, «daß die Naturwissenschaften sich den Geisteswissenschaften untordnen müssen? Was nützt das strahlendste Labor ohne Gedanken.»
«Tja», erklärte die Rätin, «solche Vorrangfragen rütteln sich vielleicht in der Wirklichkeit zurecht. Aber genießen Sie doch erst einmal unseren neuen Tempel! Die schönste Investition meiner Amtszeit.»
Auch der Aufgeforderte nahm wieder die lang herunterhängenden Kugellampen, die weiße Rotunde und hölzerne Deckenlamellen in Augenschein. «Ausnehmend nüchtern. Trotzdem gediegen.» Letzteren Begriff hatte Frau Zollicz nie ganz verstanden; möglicherweise meinte er: komfortabel-behaglich. Das Stabparkett glänzte solide. Für die Probeeinweihung war der Kulturbesuch ideal. Einige forschten nach dem Architekten des Neubaus. Vergebens und teils verwundert. Helmut Hentrich hatte sich ausgerechnet an diesem Abend, wie man schließlich erfuhr, aus familiären Gründen entschuldigen lassen. Oder der ehemalige Mitarbeiter Albert Speers brütete über den Plänen des Thyssen-Hochhauses.
Heuser und Batak zwängten sich durch eine Geisterbahn von Stimmen voran.
«Endlos Notopferbriefmarken für Berlin. Wozu dieser Ortskult?»
«Sie dürfen die umzingelten Landsleute doch nicht darben lassen. Unsere Berliner sind die Speerspitze der Freiheit.»
«Deutschland zählt etliche Hauptstädte. Regensburg mit seinem Reichstag war es am dauerhaftesten, über Jahrhunderte. Doch ich will neu sein. Ich bekenne mich zu Bonn.»
«Haben Sie Schleudergang?» fragte eine Frau.
«Wo?»
«Ah, noch Waschbrett.»
«Mein Cousin
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