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Königsallee: Roman (German Edition)

Königsallee: Roman (German Edition)

Titel: Königsallee: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Pleschinski
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lächerlich, sogar beide Spaziergänger nach Ausweis oder Urlaubsschein fragen zu wollen. Zumindest letztere Auskunftspflicht gab es wohl nicht mehr.
    Sie marschierten dem roten Rücklicht hinterdrein. Klaus griff sich an den Hemdkragen, der scheuerte. Batak Sumayputra fand, daß seine Bügelfalte nicht völlig mittig fiel. Die Kappenschuhe und Gamaschen vermittelten vertrauten Halt, die Smokings unter den Mänteln weniger. Etagenkellner Starke hatte ihnen einen Kostümverleih am Graf-Adolf-Platz empfohlen, wo sie außerhalb der Karnevalssaison recht günstig Abendanzüge inklusive Chemisette und Kummerbund bekommen könnten. Als Verkleidung war die Aufmachung im Grunde null und nichtig, als Gesellschaftsausstattung jedoch willkommen. Zusammen mit einigem Hausrat, Khakihosen, Fotoalben und Moskitonetzen, befanden sich die eigenen Smokings in den Umzugskisten, die am Jangtse verladen und nun vielleicht schon im Hafen von Hongkong gelöscht worden waren. Auf den Hügeln der Kronkolonie und möglichst in Gehweite der Firma Wing-Ning Rattan-Export würden sie sich ein Häuschen mit Blick auf die beschauliche Bucht mieten. Endlich wieder Meer, Palmengärten, Gewürzdüfte und vorrevolutionäres chinesisches Larifari mit dösenden Dienstboten und breitem Lachen aus zahnlosen Mündern. Wer dort starb, wurde wiedergeboren und schmückte dann als Blüte einen Apfelsinenbaum. Unvergleichlich begrüßenswerter, wenn auch zuchtloser, als Fegefeuer, Jüngstes Gericht und abschließend ewige Höllenstrafen.
    Anwar Sumayputra taumelte ein wenig, knickte mit einem Bein ein, Heuser stützte ihn, der Gefährte hielt sich die Hand vor die Augen, «Ich sehen alles schwarzweiß … weiß Baum, du, weiß Bank, Rest schwarz … wie unfertig Bild.» – Gewiß meinte er ein Photonegativ. Solch schubweises Nachwirken von Kräuterschnaps, Champagner, Spätlese und möglicher Überforderung mochte es öfters geben. Der Batak atmete durch. Sein Blick forschte nicht nach dem Gewimmel, das der Deutsche am Ende der Promenade vor dem Künstlerhaus wahrnahm. Autos fuhren vor. Ihnen entstiegen Paare, einzelne, Damen in Roben und nahmen die Stufen zum hellerleuchteten Gebäude hinauf. Beim legendären Malkasten handelte es sich nicht mehr um den Künstlertreffpunkt, den Klaus gekannt hatte. Anstelle des Casinoartigen Pavillons, eines veritablen Schlößchens der Gründerjahre mit hohen Fenstertüren, Seitenflügeln und Schmuckgiebeln, erblickte er einen Neubau mit Gerüsten. Wo sich anfangs, vor einem knappen Jahrhundert, Düsseldorfs Avantgarde und ihr Anhang versammelt hatte, um kühne Malerei auszustellen, Geräuschkonzerte zu veranstalten und weit über das Rheinland hinausschallende Feste zu feiern, mitunter auch nur Kaffee zu trinken, erhob sich jetzt etwas völlig anderes, eine rechteckige Glasfront, glatte Wände, nur zwei dünne Säulen bis unter die Dachziegel. Sehr entschlackt die ganze Anmutung der Bohèmezentrale.
    Die Herren näherten sich mehr oder weniger wachsam.
    «Ich hätte ihn gerne lesen hören.»
    «Vielleicht er liest dir wieder allein vor.»
    Mit Freude, doch auch mit einem Seufzer erkannte Heuser aus dem Dunkel der Allee seine Eltern. Angesichts ihres Temperaments war es nicht verwunderlich, daß die Mutter schon beim Schließen der Taxitür mit einer Frau ins Gespräch kam, die ebenso lebhaft zu antworten schien. Der Vater zahlte. Mira wirkte herausgeputzt wie die Königin von Saba, hoher Kragen, weite Ärmel, glanzvoller Stoff. Klaus war entzückt und tief gerührt. In aller Eile, aber gewiß perfekt hatte sich die Mutter aus seiner mitgebrachten blauen Seide eine lange Robe schneidern lassen. Solchen Stoff aus Sichuan trüge hier sonst keine. Der Vater schloß die Smokingjacke und folgte seiner Herrscherin lächelnd ins Vestibül hinein. Er kannte die Geschichten von Verrat und Anpassung um sich herum, überging sie aber wohl um eines lieben Friedens willen?
    Müßte er selbst, fragte sich Klaus, zigmal vom Auswandern berichten? Halbwegs getreu vom Leben im anderen Weltteil erzählen und sodann, wahrscheinlich auch mehr oder weniger wahrheitsgemäß, Geschichten der Hiergebliebenen hören? Die Menschen strömten. Erst jetzt gewahrte er ein wenig seitlich der Stufen und nur halb im Foyerlicht anderen Zulauf, Reihen von Leuten, die auch etwas riefen, Stangen mit Plakaten in den Abend hielten. Diese Ansammlung, diese Haufen redeten, schimpften offenbar aufeinander ein. Im Nahen wurden die Bekundungen auf den Pappen lesbarer.

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