Königsallee: Roman (German Edition)
ist kein Nennenswertes, nun für immer von uns ab.»
Betretenheit, Unbehagen waren spürbar. Doch hatten die Veranstalter gemeint, einen netten alten Herren nur für ein Kapitel aus einem heiter-graziösen Roman eingeladen zu haben? Und danach wäre alles in Ordnung?
«Mein im Lande gebliebener, hart bedrängter, doch in seinem Gott unerhört tapferer Kollege Reinhold Schneider gab jüngst zu Protokoll: Aus der Gnade des Unheils erwächst der Auftrag zum Frieden. Gleichwohl, das Unglück und seine Verschränkung mit einer Gnade der Erkenntnis hätte nicht sein müssen. Düsseldorf könnte noch: heil sein. Mit der größten Behutsamkeit lege ich ihnen diesen Begriff heil Buchstabe um Buchstabe zum zukünftigen und schonungsvollsten Umgange miteinander und mit der Welt wieder in den Mund. Möge es nicht auf Widerruf geschehen. Sie werden in mühseligem Proceß Deutschland entgiften, dies ist ihre vornehmste Bürgerpflicht. Auf daß die Kindeskinder mit erträglichen Sorgen guter Dinge sind.»
Kerzenlicht flackerte.
Nicht nur Thomas Mann wirkte für den Bruchteil einer Sekunde verwirrt. Neben dem krummen Gast mit Klebebrille schob die rote Zwergsperson ziemlich lautlos einen Stuhl zwischen die Sitzenden und schien zumindest am Dessert teilhaben zu wollen. Das Kinn reichte um einiges über den Tafelrand.
«Es mag», die Stimme des Redners erstarb beinahe, und er hielt inne, «das letzte Mal sein, daß ich in dieser Stadt weile, ja daß ich auch mein Heimatland nicht mehr oft gewahren kann. Doch liebe Freunde besaß ich hier stets.» Er neigte den Kopf zum Ehepaar aus Meerbusch, schien tatsächlich einen Salbduft Anwars aufzuschnappen und löste rasch den Blick von Klaus Heuser. Katia Mann berührte kurz seine rechte Hand, mit der er sich auf den Tisch stützte. «Und ein Geschenk wollte der schenkenden Stadt ich stets bereiten. Und so beginnt denn auch mein jüngstes Werk im Erzählerischen mit den Zeilen: In den zwanziger Jahren unseres Jahrhunderts lebte in Düsseldorf am Rhein, verwitwet seit mehr als einem Jahrzehnt, Frau Rosalie von Tümmler … Nehmen Sie sie an, verehrte Anwesende, diese kleine Gabe aus meiner Feder, und mögen nimmer Sie die Betrogenen sein, wie jene Witwe, die das Schicksal mit falschem Glücksversprechen hinters Licht führt, durch Liebeswahn. Oder ist ihr Los doch nicht so arg, denn die Liebe hat sie geliebt. Wer wollte das wohl nicht tun? Nur der Furchtsame.»
Las er alles ab, variierte er?
«Doch erheben wir unseren Blick aus tiefer Emotion.» Die Gesellschaft atmete mit dem derzeit wohl namhaftesten Deutschen auf. Seine Tochter wirkte in diesem Moment außergewöhnlich elegant, als sie, im silbrig-dunkel changierenden Kleid mit dreiviertellangem Ärmel, ihr schmales Kinn auf die Hand legte und entspannter als zuvor lauschte.
«An die Zukunft wende ich mich, an die hier im Saal nicht eben zahlreichen, doch um so willkommeneren jungen Leute. Und richten wir, meine Damen und Herren, unser Augenmerk vom Ort auf Weiteres. – Sechzehn Jahre von den gut zwanzig, die vergangen sind, seitdem ich aus der Heimat ging, habe ich in Amerika verbracht, diesem Lande des Reichtums und der Großzügigkeit. Dennoch ist es eine seelische Tatsache, daß ich mir, je länger ich dort lebte, desto mehr meines Europäertums bewußt wurde. Und trotz zuträglicher Lebensbedingungen, Wärme umhüllt sie im Westen fast das ganze Jahr, ließ mein schon weit fortgeschrittenes Alter den fast ängstlichen Wunsch nach Heimkehr zur alten Erde, in der ich einmal ruhen möchte, immer dringlicher werden. Enger im Raum ist das Leben hier, aber tiefer in der Zeit. Und Weiteres: Uns ist nicht bange, daß die wirkende Zeit nicht nur ein geeintes Europa bringen wird, in seiner Würde erneuert, mit einem wiedervereinten Deutschland in der Mitte. Wir wissen noch nicht, wie und wann dies vonstatten gehen wird. Doch alle, die Sie heute im Schumannsaal den Abenteuerlichkeiten des unerschütterlich lebensbejahenden Krull, dem von hier gebürtigen Welttänzer auf abendländischer Bühne, lauschten, Sie werden es ahnen, daß ich der Jugend niemals etwas Tristes und sogar Unmögliches ans Herzen legen werde, ein Gespenst von gestern, nämlich ein teutonisches Europa, nein, stets mit aller Kraft, Optimismus und wachsamer Liberalität: ein europäisches Deutschland. Allein durch Offenheit gestaltet sich Großes und sind wir innerlich reich. Dies sei doch wohl und unverbrüchlich, wie man in meiner Schulzeit unter Zöglingen
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