Königsallee: Roman (German Edition)
durch die wehen Ohren brausen laß, sondern mich hinausgewagt habe, kaum meinem Diarium mag ich’s anvertrauen.»
Der Nachtportier verbeugte sich schief, gähnte eher, als daß er sich erkundigte, doch immerhin: «Soll’s was aus dem Eis sein? Dortmunder oder Sprudel?»
«Selters bitte», sprang Heuser flink ein, denn zu wüster Stunde schien Thomas Mann angesichts von Frage und Stil ratlos.
«Michelangelo hielt nur die Schönheit, die er sah und verewigte, am Leben. Der Rest war Tand und Kladderkram. Ich bin erstickt in Pflichten und Gepränge. Was ich brauche, das ist eine tiefe Freude. Sonst geht nichts mehr.»
«Aber ich bin doch da», wagte Klaus Heuser kühn zu sagen, «wir sind leicht verwandelt zwar, doch ich bin der alte Meermann Ekke Nekkepenn, und schwimmen tue ich noch gut.»
«Ich halte deinem Blick nicht stand.»
«Ach, nicht so erschüttert, lieber Herr. Wenn Sie ein Vergnügen wollen, so gehen wir ein paar Schritte und schöpfen Atem, Herr Nobelpreisträger. Und denen haben Sie’s heute gezeigt, Europa statt Budengeläut.»
«Vor die Tür?»
«Das kommt vor.»
«Mielein und Erikind wissen nichts.»
«Das ist doch auch in Ordnung.»
«Was für eine Nacht.»
«Buchenswert.»
«Keck ist er, war er immer, sobald er sich wohl fühlte.»
«Sonst eher scheu.»
Während die Nachtaushilfe mit einem Zehner und Getränken wieder kehrtmachte, nebenher den Türöffner drückte, nahmen die alten Bekannten die zwei Stufen, ein Taxifahrer schien wie erlöst vom Nachtharren, eilte sogleich um den Wagen und hielt schon auf. «Nach Benrath?» fragte Klaus und wiederholte frohgemut, «nach Benrath. Dort kenne ich eine Pforte an der Orangerie, die immer offenstand. Der Sonnenaufgang ist herrlich. Und morgen wird ein Tag blindlings durchgestanden.»
«Das ist nicht denkbar», erwiderte Thomas Mann, «ich fahre nicht bei Tau und Tag Droschke. Ich sehe wohl, ein solches wildes Leben hätte mich umgebracht, frühzeitig aus der Bahn geworfen, und ich habe nur dreihundert Mark dabei.» Der Taxifahrer war’s zufrieden, fuhr los und bog in die Königsallee ein.
«Man lasse mich doch in Ruhe. Ich entstamme angesehenem Hause und schöpfe Kraft aus Ordnung.»
«Ach, doch nicht nur. Eher Ordnung, weil im Innern alles flackert.»
In der Tat war die Situation unmöglich. Derweil Klaus Heuser sich plötzlich fragte, ob er sich einer Untergattung von Entführung schuldig machte, insgesamt noch recht bei Sinnen war, versteifte sich Thomas Mann im Fonds wieder, saß kerzengerade und ließ tote Geschäfte an sich vorübergleiten.
«Schlimm, was ein Wassergeist tut?»
«Das möchte ich wohl behaupten,» kam es zurück, doch womöglich fühlte sich Thomas Mann selbst neuerlich oder erstmals wie in einem Roman.
«Wir sagen nichts.»
«Das ist gewiß.» Der Chauffeur genoß die freie Fahrt und schoß übers Pflaster und einen Bahnübergang.
«Stimmt es», lehnte Klaus sich vor, «daß Dichter ihre Nächsten, wen sie lieben, wen sie hassen, wer sie auch nur interessiert, für ihre Werk ausweiden, verbrennen, so daß Hüllen und Asche ihren Weg markieren?»
«Das ist leidlich bekannt», Thomas Mann paßte nicht mustergültig in eine Limousine, ein Autodach schien zu niedrig, aber Zweispänner und Karossen verkehrten nicht mehr. «Den Göttern», sprach er sehr ernst, «opfert man, und zuletzt war das Opfer Gott. Doch wer fragt nach, wer und was mich plagt? Ich, Klaus, bin im Wandel und Austausch der Dinge und Menschen die brennende Kerze doch auch, die ihren Leib opfert, damit ein Licht leuchte, bin, war auch der trunkene Schmetterling, der der Flamme verfällt, Gleichnis allen Opfers von Leben und Leib zu geistiger Bedeutung. Ich legte es mir nicht in die Wiege, in die Wiege war’s mir gelegt. Nachgefühl, Vorgefühl, Klaus – ja, Gefühl ist alles. Laß unseren Blick sich auftun und die Augen groß sein für die wechselnde Einheit der Welt – groß, heiter und wissend.»
Eine Landpartie, ein üblicher Nachtstreich war’s nicht.
Heuser schwieg, der Chauffeur gleichfalls.
«Sie haben auch mich verbrannt, nicht wahr?»
«Nimmst du’s mir übel? Du hast dich mit gesundem Egoismus davongemacht. Und es ging auch nicht und keinesfalls. Rettete mein Werk immer noch rechtzeitig vor dem realen Sog der Leidenschaften. Konnte vergeistigen, verfeinern und in eigener Regie ausdeuten, was mich erregte. Aus einer Menschengeschichte wurde eine Geschichte für doch viele.»
Eine ferne bebende Einsamkeit des Mannes ließ
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