Königsallee: Roman (German Edition)
schön. Kuß bleibt in der Welt.»
«Er schrieb mir noch nach Sumatra. Vielleicht geheim. Sogar aus dem Exil.»
«Gut aufheben. Vielleicht sehr viel wert. Für späte Zeit.»
Mit der Kinowerbung im Rücken überquerten beide Herren den Kanal der Königsallee bei der Tritonenfontäne. Anwar hätte sich an einem Ende der Avenue gut einen prächtigen Kuppelbau, etwa in der Art einer Pagode oder Moschee, mit Kolonnaden und Gebetshof, vorstellen können. Klaus Heuser schmerzten die Füße, wenn auch der Stimmenwettstreit der Eltern aus dem Gehör verklang. Allerdings nicht, wenn er wie jetzt daran zurückdachte. Sie würden alle zusammen in den Fidelio mit der gepriesenen Sängerin Mödl gehen. Für Anwar ein Ereignis – das erste Mal Dirigent, Orchester, Ovationen. Es war Zeit, das Gepäck loszuwerden, sich aus den Mänteln zu schälen. Der Körper gewöhnte sich an die Sommertemperaturen. Ein bequemes Doppelzimmer – falls dergleichen in der Nach-Tyrannis an zwei Gentlemen vergeben wurde – war hoffentlich nicht mehr weit.
«Wir werden ruhige Tage genießen, Anwar.»
«I hope so.»
«Eine Dampferfahrt machen.»
«And visit the cathedral.»
«Die steht in Köln.»
«I don’t mind.»
«And let’s write a postcard to good Mister Henry.»
«Der wird sich so much freuen», stimmte Anwar zu und stellte sich den Barkeeper des Old Victorian vor, wie er neben seinem Mixer auf eine Ansichtskarte starrte, Air Mail, auf welcher das riesige Weinfaß vom Rhein oder der legendäre Westwall abgebildet war.
«He will show it to everyone.»
«Let’s pray, that they survive Mao», hielt Klaus Heuser kurz inne und biß sich auf die Lippen.
Empfang
Fräulein Anita stützte sich auf ihren Besen. Fräulein Anita hatte einen Traum. Sein Anlaß, ein Bild, hing daheim über ihrem Bett. Dieses Gemälde, das sie in einem Magazin des Friseursalons entdeckt und sich ausgeschnitten hatte, zeigte eine alte Frau mit weißer Haube. Die Augen der Alten blitzten, sie schien keine Zähne mehr zu haben, schmauchte aber mit höchstem Genuß eine lange Tonpfeife. Die Alte lehnte sich in ihrer holländischen Tracht behaglich aus einem offenen Erkerfenster mit honigfarbenen Butzenscheiben. Sie äugte aus ihrer Amsterdamer Kammer Passanten nach, schwätzte sich mit Mägden und Herren vor ihrem Wachtposten wahrscheinlich angeregt durch den Tag, schloß abends die Fensterläden und kroch gottergeben bis zum nächsten Morgen in ihr Bett. Das knittrig rosige Gesicht auf dem Gemälde drückte nichts übereifrig Neugieriges, Hämisches aus. Die Alte schaute nur. Würde man so altern, so geborgen mit der Pfeife auf die Straße lugen können, dann wäre das Leben sehr annehmbar verlaufen. Männer bescherten nur Unruhe, Knechtung, und falls sie gehorchten, wäre es auch widernatürlich.
Nun war Fräulein Anita keine altjüngferliche Amsterdamerin, lebte auch nicht in einer Zeit der Trachten und Hauben, aber das Gebot zur Gelassenheit verströmte das Bild gleichwohl.
Die dreiundvierzigjährige Putzhilfe des Frisiersalons Schmidt im Breidenbacher Hof fegte über die Steinplatten vor dem Eingang.
Manchmal lagen Haare von Kunden auf dem Boden und hatten zusammengekehrt zu werden. Neben dem Belauschen von Gesprächen zwischen der Kundschaft und den Friseusen – viele Hotelgäste und auch Damen und Herren von außerhalb kamen anscheinend nur, um beim Nachschneiden ein paar Worte loszuwerden – beschäftigte sich Fräulein Anita am liebsten vor dem Eingang. Sie konnte sich nebenher mit der Bedienung in der anstoßenden Tabakboutique unterhalten. Vor allem aber ließ sich das Geschehen in der schönen weiten vornehmen Halle im Auge behalten. Zu dem Zweck war die eher zierliche als voluminöse Litfaßsäule mit dem Theaterprogramm und Hinweisen auf Wildtage äußerst vorteilhaft. Hinter der Säule mit ihrem rot-weißen Metallkranz konnte Anita kurz und scheinbar tätig verschwinden, wenn der Portier oder, mißbilligend manchmal, die Angestellten am Empfangstresen sie wegen ihrer Wißbegier ins Visier nahmen. Dabei trug sie fein gestärkte und gebügelte weiße Kittel. Aber das Haus wollte offenbar nicht allzu ausgiebig Besen und Schäufelchen vor Augen haben. Gäste allerdings konnten im Vorübergehen der Meinung sein, daß hier unablässig jeder Quadratmeter gepflegt wurde. Im selten überlaufenen teuren Salon selbst kam die Belegschaft viertelstundenweise gut ohne sie aus, um die Stühle herum war rasch gekehrt, die Waschbecken wischten die Friseusen
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