Aus der Welt
Am Abend meines dreizehnten Geburtstags verkündete ich: »Ich werde niemals heiraten und Kinder kriegen.«
Ich weiß noch genau, wann und wo das stattfand. Es war gegen sechs Uhr in einem Restaurant Ecke West 63rd Street und Broadway. Der fragliche Tag war der 1. Januar 1987, und kurz nachdem meine Eltern angefangen hatten sich zu streiten, platzte ich mit dieser Bemerkung heraus. Infolge von reichlichem Alkoholgenuss und lange aufgestautem, tiefem Groll endete der Streit damit, dass meine Mutter schrie, mein Vater sei ein Mistkerl, und sich tränenüberströmt an jenen Ort flüchtete, den sie immer »für kleine Mädchen« nannte. Obwohl die anderen Gäste wegen der lautstarken ehelichen Auseinandersetzung zu uns herüberstarrten, brachte mich dieser Streit nicht weiter aus der Fassung. Meine Eltern stritten ständig. Außerdem hatten sie die Angewohnheit, vor allem an Fest- und Feiertagen wie Weihnachten, Thanksgiving oder dem Geburtstag ihres einzigen Kindes zu explodieren – Tage, an denen Werte wie Ehe und Familie eigentlich ganz weit oben stehen und sich alle »ganz doll lieb haben« sollten.
Aber meine Eltern hatten sich nicht lieb. Sie brauchten ihre Auseinandersetzungen wie mancher Alkoholiker seinen ersten Schluck Whiskey, damit er überhaupt aus dem Bett kommt. Sonst fühlten sie sich geschwächt, einsam, ja sogar ein wenig verloren. Sobald sie anfingen, sich gegenseitig zu belauern und zu provozieren, fühlten sie sich heimisch. Unzufriedenheit ist nicht nur eine innere Einstellung, sondern auch eine Sucht … und zwar eine, von der meine Eltern nie loskamen.
Doch ich schweife ab, zurück zum Neujahrstag 1987. Wir waren anlässlich meines Geburtstags von unserem Wohnort Old Greenwich, Connecticut, hergefahren und hatten uns George Balanchines Nussknacker mit dem New York City Ballet angesehen. Nach der Matinee kehrten wir in einem Restaurant namens O’Neill’s gegenüber dem Lincoln Center ein. Mein Dad hatte einen Wodka Martini bestellt, und während er den zweiten kippte, hatte er schon die Hand gehoben, um einen dritten zu bestellen. Mom warf ihm vor, er trinke zu viel. Daraufhin ließ Dad es sich nicht nehmen, Mom mitzuteilen, sie sei nicht seine Mutter. Wenn er einen dritten Martini wolle, würde er auch einen dritten Martini trinken, verdammt noch mal! Mom zischte ihn an, er solle leiser sprechen. Dad sagte, er lasse sich nicht behandeln wie ein kleines Kind, woraufhin Mom erwiderte, dass ihr gar nichts anderes übrig bliebe. Er verhalte sich schließlich wie ein Kleinkind, das bei der kleinsten Ermahnung sämtliche Spielsachen aus seinem Gitterbettchen wirft. Dad bereitete den Todesstoß vor, indem er sie eine Versagerin nannte, eine Null, die …
In diesem Moment schrie sie mit ihrer dramatischsten Stimme: »Du erbärmlicher Mistkerl!« und ging eiligst »für kleine Mädchen«, während ich zurückblieb und in meinen alkoholfreien Shirley-Temple-Cocktail starrte. Dad gab dem Kellner ein Zeichen, dass er ihm seinen dritten Wodka Martini bringen solle. Eine lange, peinliche Stille entstand, die Dad mit der wenig logischen Frage brach:
»Und, wie läuft’s in der Schule?«
Ich antwortete genauso unlogisch.
»Ich werde niemals heiraten und Kinder kriegen.«
Anstelle einer Antwort zündete sich mein Vater eine der dreißig Chesterfields an, die er am Tag rauchte, und lachte sein heiseres Lachen.
»Von wegen!«, sagte er. »Du glaubst, du kannst dich vor all dem drücken, aber eines Tages wirst du deine Meinung ändern.«
Eines muss man meinem Vater lassen: Er hat nie mit der Wahrheit gegeizt. Und er hielt auch nichts davon, mir die vielen Enttäuschungen, die das Leben für uns bereithält, zu ersparen. Wie Mom handelte er stets nach dem Prinzip: Nach einem Streit tut man am besten so, als wenn nichts wäre – zumindest fürs Erste. Als Mom also mit einem aufgesetzten Lächeln von der Toilette zurückkehrte, lächelte Dad zurück.
»Jane hat gerade über ihre Zukunft gesprochen«, sagte Dad und rührte in seinem Wodka Martini.
»Jane hat eine wunderbare Zukunft vor sich«, sagte sie. »Was hast du Dad erzählt, Liebes?«
Dad antwortete für mich.
»Unsere Tochter hat mir mitgeteilt, dass sie niemals heiraten und Kinder kriegen wird.«
Dabei sah Dad Mom direkt an und genoss ihr Unbehagen.
»Das hast du bestimmt nicht ernst gemeint, Liebes«, sagte sie.
»O doch«, erwiderte ich.
»Aber viele unserer Bekannten sind sehr glücklich verheiratet …«, entgegnete sie. Dad lachte
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