Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Königsallee: Roman (German Edition)

Königsallee: Roman (German Edition)

Titel: Königsallee: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Pleschinski
Vom Netzwerk:
beschieden, der sich bei drei wandelnden Rauchern zu Recht nach weiteren Plänen erkundigte.
    «Was trinken wir? Pils. Zapfen Sie uns drei.»
    «Ich ein Selters», wünschte Dr. Feilhecht. Das Teilkomitee bezog Stellung in drei Lederfauteuils.
    «Viel Aufwand für einen Literaten», meinte Giesewind, «falls keiner ihn begrüßte, würde er trotzdem lesen.»
    «Wer weiß?»
    «Meine Herren», erklärte der Stadtkämmerer und Musiker, «der Nutzen von Kunst ist nicht meßbar. Ohne Kunst hätten wir ausschließlich Thyssen, Mannesmann, Henkel und die Wohnunterkünfte drum herum. Das darf nicht der ganze Rahmen unserer Erdentage sein. Ja, der Sinn aller Tüchtigkeit ist, Zeit und Anleitung zur Muße zu finden. Die Künste adeln uns und nicht die Lohntüte und die Titel», befand von Seeken, «im Grunde meine ich, daß der Mensch nur arbeitet, um faul sein zu dürfen. Aber damit Faulheit nicht ins Verfaulen übergeht, münzt er sie sich zur Muße um. Und in der Muße erkennt er sein höheres Selbst und ist offen fürs wahre Menschsein: den Geist und seine Abenteuer, die belebenden, die abgründigen, die insgesamt belehrenden. Fleisch wird Schöpfungswunder, stets einmalig. So ist’s. Wahrscheinlich. Hinhorchen. Nachdenken. Düsseldorf ohne Heinrich Heine, ohne Robert Schumann, ohne diesen Besuch – wir wären nicht der Rede wert. Wer spricht von den Steinbrüchen Ägyptens? Die Pyramiden sind’s, die uns anziehen und geheimnisvoll begeistern.»
    «Wollen nicht Sie ein paar Worte sagen?» schlug der Schulbeauftragte dem Kämmerer vor, der im Moment aber Mühe hatte, seinen fixierten Unterschenkel zu verstauen. Zwei Ueriger mit goldgeränderter Pilsmanschette und der Sprudel wurden serviert. Ein Sekt wäre vielleicht angemessener gewesen, doch waren die Herren unabgesprochen vor einer Extravaganz zurückgescheut. Immerhin entband sie die Dichtervisite von Bürostunden und gestattete ein schweifendes Parlieren in lederner Sesselrunde. Untere Kommunalangestellte wuschen sich nach dem Einlegen frischer Schreibmaschinenfarbbänder derweil die Hände. Die Abordnung zum Empfang war nach einer Liste zusammengestellt worden, mindestens sechs Ratsmitglieder, und Oberbürgermeister Gockeln hatte überdies zu einem möglichst zahlreichen Erscheinen aufgefordert, falls die Amtsgeschäfte es gestatteten: In Köln könnte sogar Adenauer zu einem versöhnlichen Handschlag zwischen Geist und Politik erscheinen. Von solcher Geste des Bundeskanzlers, die in Frankreich oder anderen Kulturländern möglicherweise an der Tagesordnung war, hatte das Radio nichts vermeldet. Unter Umständen verargte es der Bonner Regierungschef dem Nobelromancier, überlegte der Stadtkämmerer, daß letzterer kürzlich und anläßlich einer Gedenkfeier in Weimar vor den Kommunisten Humanität, Menschenwürde und Demokratie als die bedeutendste Staatsnotwendigkeit eingefordert hatte. Warum auch nicht? Solche Aufmunterungen waren gerade angesichts des drohenden dritten Weltkriegs zwischen den todfeindlichen Systemen sinnvoll. Auf dem Fuße hatten die ostdeutschen Organe gejubelt: Der große Dichter kam, weil er bei uns frei sprechen kann und damit seine Forderungen in der Volksdemokratie, die den Kapitalismus zerschmettern wird, eingelöst sieht. Dergleichen hörte man westlich des Eisernen Vorhangs nicht gern.
    Akuter war aber gewiß der Zwist, den der Dichter – ahnungslos oder eher nicht – mit seiner Entscheidung entfacht hatte, daß sein Nationalepos Buddenbrooks ausschließlich als deutsch-deutsche Gemeinschaftsproduktion verfilmt werden dürfe, um den Geist der traditionellen Einheit zu symbolisieren. Bemerkenswert zügig hatten die sozialistischen Behörden – denn ein freier Markt existierte jenseits der Elbe nicht – diesem Wunschbefehl des Autors zugestimmt. Aufseher über das Wohl des Westens sahen in solcher Bereitwilligkeit hingegen die Heimtücke, Ostkünstler im Westen brillieren zu lassen, Spione als Kabelträger einzuschleusen und das Signet der Babelsberger Filmstudios für immer über die Leinwände flimmern zu lassen. Sei’s, wie’s sei, jedenfalls hatte der Bundeskanzler den eigenwilligen Dichter nicht begrüßt, und auch im Einparteienstaat begegnete man Schwierigkeiten, einen Villeneigentümer vom Zürichsee als eingefleischten Genossen der Arbeiter- und Bauernmacht zu präsentieren. Die Buddenbrook-Sippe mochte zwar den bürgerlichen Niedergang bezeugen, doch die Kostüme, die Sprache und Usancen der müden Klasse waren allzu

Weitere Kostenlose Bücher