Königsallee: Roman (German Edition)
zurück.
Von rechtzeitiger Spalierbildung konnte nicht mehr die Rede sein; ein jeder blieb, wo er stand, allein die Photographen stürmten auf den Eingang zu und blitzten die Halle silberblau.
Von den drei Gestalten, die langsam, wiewohl nicht zögerlich eintraten, vernahm Portier Elkers zwei Frauenstimmen: «Am Bahnhof nur dieser Assistent.» «Aber wenn man auspacken will, wieder Radau.»
Im Blitzgewitter näherten sich als dunkle Umrisse, dann überbelichtet, zwei kleinere und eine größere Erscheinung. Erst allmählich ahnten und gewahrten die Anwesenden … es waren die Nobelpreiseltern mit Tochter.
Die Augen des Empfangskomitees schärften sich.
Thomas Mann trug Hut, einen beigefarbenen Anzug, ein locker geschlungener Schal ließ eine Fliege erkennen.
Der Berühmte! Welche Berühmtheit! Gelesen und ungelesen. Der Teegast von Präsident Roosevelt, der Schöpfer von Hans Castorp, des leicht teigigen Sinnsuchers, der am Schluß für Kaiser und Vaterland ins Sperrfeuer stürmt! Der Erfinder eines Zwiegesprächs zwischen dem Teufel und einem Komponisten, der Urheber von Königliche Hoheit – welch Kinoerfolg! –, der Künstler, der die Lübeck-Saga in die Welt gesetzt hatte, der Befürworter der Bombardierung Deutschlands, Gastgeber für Einstein und Marlene Dietrich, die Humanitas in persona, der unanfechtbar Gerechte, der Magier, der aus Buchstaben auf Tausenden von Seiten das pharaonisch-biblische Ägypten auferstehen ließ, Josephs-Geschichten, der Heraufbeschwörer schwüler Lust, wenn Potiphars Weib den jungen Ebräer schmachtend anlispelt, ein siecher Venedigreisender seine sinkende Hand in letzter Lebenserfüllung nach dem blonden Gottknaben ausstreckt, der in die Lagune entschwindet, der stilistische Meister, der den Führer zum blutigen Darmwind eines erkrankten Volksrests degradiert hatte und in Wien, Prag, in London, New York vor tausenden von Zuhörern über Albrecht Dürer, russische Dichter, den Geist der Republik, eine Hansestadt als ideale Daseinsform nachdachte und sprach, der sich vom Bejaher einer Beschießung der Kathedrale von Reims im Ersten Weltkrieg zum weltweit vernommenen Verfechter von Verträglichkeit und Abrüstung gewandelt hatte, eine Gestalt, die als Junge im Matrosenanzug mit brasilianischer Mutter noch an Handelsseglern auf der Trave entlang promeniert war, Bruder und Vater von Schwestern und Sohn, die sich das Leben genommen hatten, akribischer Arbeiter, Galionsfigur des Guten, Wahren und Schönen sowie des Abgründigen, Verwerflichen, der auf seinen Seiten sämtliche mittelalterlichen Glocken Roms läuten lassen konnte, Geschwisterliebe bedachte, über Sohnesliebe nachsann, Erkunder der Liebe und der Trauer, des Hochgenusses beim Porterbier, der vielleicht völligen Vergänglichkeit, Träger von Orden, jetzt gerade Hüstelnder, eine Welt in der Welt, über der Welt, ganz offenbar deren Zierde, förderlicher Beunruhiger, Wohlseinsstundenschenker, notwendiger Schmuck …
Wie konnte ein Deutscher so weit aufsteigen?
In solchen Zeitläuften.
Höher hinaus als schier jeder.
Dies alles war zuviel für die nur äußerlich barsche, insgeheim hochkultivierte Baurätin; sie griff am Kamin nach Halt. Lotte in Weimar , ihr Lieblingsbuch, nun traf mit der ordinären Post nicht Charlotte Buff ein, um ihrem einstigen Geliebten Goethe ihre späte Aufwartung zu machen, mit deplaciert rosa Schleifchen am Kleid, jetzt kam der Dichter der melancholischen Begegnung selbst, und als Ida Zollicz in diesem Moment den massiven Bronzeelephanten mit weit ausschwingendem Rüssel auf dem Sims der Feuerstelle wahrnahm, wußte sie nicht mehr exakt, wo sie war. Kutschen mochten vorrollen, Hofrätinnen um Unterkunft bitten und dienstbare Kammerzofen einen Knicks machen.
Ida Zollicz faßte sich.
Auf ihre Schwäche gab ohnehin niemand acht.
Die Gattin des Dichters trug dunkles Blau, ein Kostüm mit wadenlangem Rock und weißpaspelierter Jacke. Dazu paßte die lange Kette prächtiger Perlen, die vor der Bluse entschieden geknotet war. Das weiße Haar lag zurückgekämmt. Im Gegensatz zu den augenscheinlich schweren Beinen, die in gut siebzig Jahren manchen Raum durchmessen hatten, wirkte das Gesicht trotz der Faltennetze fast jugendlich verschmitzt. Nicht die geringste Verkniffenheit des Mundes, er schien eher zum sofortigen Kommentar geneigt. Die schwarz leuchtenden Augen prüften die vormittägliche Situation. Mit unmerklichem Griff zog sie eine Patte der Sakkotasche ihres Gatten zurecht. – Frau
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