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Königsallee: Roman (German Edition)

Königsallee: Roman (German Edition)

Titel: Königsallee: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Pleschinski
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Zollicz wähnte, daß sich daheim im Schrank der Dichterfürstin, die man wohl so nennen konnte, noch ein altmodischer, üppiger Nerz befand, in dem Frau Katia Mann ihren Gatten durch das frostige Berlin der zwanziger Jahre begleitet hatte. Auf einem Dachboden mochte überdies ein eleganter Strohhut mit Gesichtsschleier übriggeblieben sein, durch den die junge Ehefrau noch vor dem Attentat von Sarajevo das sommerliche Treiben auf dem Lido von Venedig wahrgenommen hatte. Sie, Katia Mann, die hier in ihre Handtasche blickte, war es gewesen, die wie vor Epochen und in einer anderen Welt mit Lungensorgen für Monate in Schweizer Hochgebirgssanatorien logiert hatte, um in der Bergwelt als unfreiwillige Speerspitze des Künstlerhaushalts die Sphäre des Zauberbergs zu erproben. War sie die halbe Dichtung ihres Mannes, ein Viertel davon? – schwer zu erkunden; sie galt als Fundament, auf dem Leben und Werk ruhten. Mit Katia Mann schien niemand es sich verscherzen zu dürfen, sogar wenn er gar nichts von der Familie begehrte, nichts mit Geschriebenem im Sinn hatte, sie war eine Größe und Hintergrundkraft an sich, die man sich als bisweilen still und freundlich, aber nie formlos, beim Schneiden von Rosen vorstellen konnte, in robustem Schuhwerk, mit scharfer Schere in der Hand.
    Während Oberbürgermeister Gockeln vortrat, wechselte sie ein paar Worte mit dem Gemahl, der hinter spiegelnder Brille recht verborgen blieb. Er nahm den Hut ab, die Warze unter dem linken Auge war zu erkennen. Eher mit einem Zucken der Mundwinkel als durch ein Nicken dankte Thomas Mann zur Rechten seiner Tochter, die ihm eine Ledermappe abnahm. Darin war gewiß das Kostbarste verstaut, ein Manuskript, das Buch, aus dem er im Schumannsaal vorläse. Felix Krull , das neueste Werk des fast Achtzigjährigen, ein Schelmenroman, der Verkaufsrekorde brach. Aber war nicht bereits vorzeiten eine Volksausgabe der Buddenbrooks von den Leipziger Druckereien auf Dutzenden von Lastwagen zu den Buchhändlern transportiert worden? Zwischen allen sonstigen Mächten blieb offenbar auch das Buch eine Festung mit schönen Innenhöfen.
    Die Tochter beunruhigte.
    Es war nicht exakt zu benennen, warum. Die Mappe ihres Vater hielt sie so selbstverständlich unter den Arm geklemmt wie etwas Eigenes. Mußten die Veranstalter für ihren Aufenthalt aufkommen? Sie schien sich mit dem Elternpaar gleichrangig zu fühlen. Erika Mann trug einen Hosenanzug, der die Knöchel in Seidenstrümpfen frei ließ. Solches Wagnis für Frauen war auf Düsseldorfer Modeschauen, aber noch kaum auf der Straße zu erblicken gewesen. Das noch dunkle Haar war, wie bei der Mutter, nur welliger, nach hinten gekämmt. Die Kopfform ähnelte der des Vaters, sein Mund, alle Züge naturgemäß filigraner, zerbrechlicher, Ringe an unruhigen Fingern; sie griff ihm unter den Arm, offenbar um ihn zu stützen. Die jüngere Frau Mann lächelte leicht maskenhaft in die Runde; sie schien sich Freundlichkeit anbefohlen zu haben, die Lippen indes konnten einen gewissen Degout vor den Honoratioren oder einem Empfang bezeugen, den sie zig Male erlebt hatte.
    Oberbürgermeister Gockeln trat vor die Räte, räusperte sich. Wen begrüßte er überhaupt? Waren Thomas Mann und seine Gattin eigentlich Landsleute? Angesichts beider Ausbürgerung in den unseligen Zeiten waren sie für einige Jahre tschechische Staatsbürger geworden. Nach längerer Weile in den USA wohl zu Amerikanern. Lebten und empfanden sie sich mittlerweile als Schweizer? Das gestandene Stadtoberhaupt fühlte sich für Sekundenbruchteile eingeschüchtert. Der betagte Schriftsteller, an den er routiniert ein paar Worte richten wollte, hatte auf irgendeinem Pier in der weiten Welt unwidersprochen kundgetan: Wo ich bin, ist Deutschland . Das eigene Land hieß es also zu begrüßen. Das konnte überfordern.
    Die Tochter! – In ihrer diffusen Identität, soweit sie geläufig war, verwirrend, geradezu ein Ärgernis. Schauspielerin gewesen, Kabarettunternehmerin, Britin durch Heirat mit einem englischen Dichter, Kriegsberichterstatterin für die Alliierten, Kinderbuchverfasserin, von den Amerikanern wegen angeblicher Sympathien für den Kommunismus außer Landes gedrängt, mutmaßlich schockierend liberal durch Liebesaffären mit Männern wie auch Frauen, verheiratet ehedem, in den wilden Zwanzigern, mit dem Staatsintendanten, der Prima Donna Assoluta der Düsseldorfer Bühnen, Gustaf Gründgens … Falls der Geschiedene unversehens auf die Geschiedene

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