Königsallee: Roman (German Edition)
kostbar, als daß man ihrem Entschwinden nicht nachgeseufzt hätte. Ob in Bitterfeld oder Wuppertal. Die Filmaffäre war nicht beigelegt. Illustrierte brachten immer neue Namen von Schauspielern und Regisseuren für den Einheitszauber ins Spiel.
Es schien ernst zu werden.
Berichterstatter und Photographen der ansässigen Zeitungen stellten sich ein. Weitere Stadträte, die aus der Sommerluft eintraten, nutzten die Gelegenheit, sich den Pressevertretern durch betont freundliche Begrüßung und ein paar Bemerkungen zum Ausbau des Straßenbahnnetzes vorteilhaft einzuprägen. Nur Ida Zollicz, die einzige Stadtbaurätin der Bundesrepublik, glitt kommentarlos an dem Pressepulk vorbei. Die Zollicz hatte merklich schlechte Laune und trug wieder einmal Grün, diesmal als unifarbenes Kostüm, sodaß ihr etwas Algenartiges anhaftete. Die Frau, die fest und tüchtig im Amte saß und nicht viele Komplimente benötigte, hatte sich irgendwann geschworen, das wußte man, keine ihrer Stimmungen durch Floskeln oder Falschheit zu überspielen. Das würde sie sinnlos anstrengen. Also lachte Ida Zollicz gelegentlich schallend laut auf oder traf eben grimmig, harsch und in Seetangcouleur zu einem Empfang ein, wobei man sich fragte, was prinzipiell einnehmender sein mochte: ein verbindliches Gehabe oder diese fast dreiste Übellaunigkeit. «Morgen», grüßte die Kollegin und musterte als Baufachfrau vielleicht die Statik der Halle mit Flachkuppel und dünnen Säulen.
Er selbst, der Oberbürgermeister mit zwei Begleitern, eilte zur Tür herein.
Das Stadtoberhaupt schien über jedes anwesende Gesicht erfreut, begrüßte per Handschlag, fand für jeden ein Wort, ließ sich kurz einen Volontär der Westfälischen Rundschau vorstellen und war, mit einem Wort, ganz der Politiker, der eine neuerlich aufstrebende Metropole lenken und repräsentieren konnte, sorgend, entscheidungsfroh, im richtigen Moment nachdenklich. Schwerlich war ein anderer Stadtvater vorstellbar, bis irgendwann Gockelns Platz ein nächster einnähme, den man zuerst befremdlich finden, dann aus rascher Gewöhnung aber für zeitgemäß halten würde. «Die Gaswerkkonferenz müssen Sie allein stemmen, Giesewind, ich bin heute nachmittag bei der Recke-Stiftung. – Ich werde seitens der Stadt willkommen heißen; dann, Sinther, sind Sie an der Reihe», wandte sich der Oberbürgermeister an den Kulturreferenten. Der war blaß, die Hand mit Notizen zitterte. Herrn Dr. Sinther war klar, daß gleich ein gewaltiger Unterschied zwischen einem kulturverwaltenden Beamten und der Kultur selbst zutage treten könnte. Sogar falls er nächtelang an einer Begrüßung gefeilt hätte, würde sie nie in einem Redenband abgedruckt und in andere Sprachen übersetzt werden. Doch das durfte auch nicht sein Ehrgeiz sein. Er mußte als Beauftragter stolz auf eine gerechte, sinnige, möglichst expansive Etatverteilung sein, konnte sich über Freikarten in allen Theatern freuen und sich ins Gewand der Kultur kleiden, ohne darin, wie mancher Künstler, verbrennen zu müssen. Das war auch ein Vorteil.
«Auf der Baustelle am Rheinufer stand ich heute früh wieder im Stau.» Der Oberbürgermeister fixierte die Baurätin.
«Soll ich selbst zur Schaufel greifen?», der grüne Ingrimm zeigte sich unbeeindruckt, «der Arbeitsmarkt ist leergefegt. Wir müssen in der Fremde anwerben.»
«Bilden wir Spalier oder stehen wir in loser Gruppe?», erkundigte sich der Kämmerer trotz seiner Beinhemmnis.
Die Hoteldirektion ließ auf Kosten des Hauses Sekt und Salzgebäck servieren; die Gelegenheit war günstig, die lokale Prominenz ein wenig zu verwöhnen. Zimmergäste gaben ihre Schlüssel ab, führten Ferngespräche in den Telephonkabinen und wunderten sich kaum über eine größere Menschenansammlung, die alsbald wohl zu einer Tagung in einen der Konferenzräume sickern würde.
Die Gehilfen des Portiers trugen Gepäck herein und stellten in einem Schub sechs, sieben Koffer vor der Rezeption ab. Versorgungsexperte Giesewind zog vor dem Kamin einen Journalisten ins Gespräch, Frau Zollicz ließ sich von Herrn von Seeken zu einem Lachen verleiten. Bei einer Stimmung, wie sie sich im Rheinland gern geschwind lockerte, und zumal sich einer auf den anderen verließ, erregten mehrere Schemen vor dem Eingang nicht die gebotene Aufmerksamkeit.
Portier Elkers riß die Tür auf.
Aus dunkler Ahnung zog er die Mütze, hielt sie vor die Brust, verbeugte sich.
Geplauder erstarb.
Von Seeken sank vergipst in den Sessel
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