Königsallee: Roman (German Edition)
innere Erbauung und ein Hinwegträumen aus Krieg, Tod und Ruinen suchten, unter andere Zeilen.»
Sag endlich Thomas Mann und weiche nicht mehr von ihm, ersehnte sich Frau Zollicz. Er ist der Gast. Vergebens.
«… In der ärgsten Not ist es nämlich oft ein Gedicht, welches das taumelnde Gemüt zart und schützend umhüllt. Wer blieb im Lande, wer dichtete hier für uns? Den Parteibarden konnten wir nicht trauen. Sie stachelten zum Haß, zum Blutrausch und zur Vergötzung des Schandtäters auf. Mag auch Ina Seidel …» – Erika Mann rumste geradezu gegen die Rückenlehne, Katia Mann gab ihre Perlenkette nicht frei, während in der Mitte zwischen den beiden Frauen Thomas Manns Mundwinkel zuckten. Ja, in Düsseldorf wurde offen und spannend gesprochen.
«… mochte die Dichterin Ina Seidel, die Verfasserin eines Volksbuchs wie Das Wunschkind , das einige rührselig nennen und in dem die heldisch blutgetränkte Heimaterde gefeiert wird, mochte also diese bisweilen leichtgläubige und vielleicht auch ehrsüchtige Frau sogar Glückwunschgedichte an den Führer gerichtet haben …» Frau Zollicz behielt die Mann-Tochter im Auge, die in ihrer Handtasche möglicherweise nach einem Messer suchte, «… so kannte doch auch eine Ina Seidel – und dann wollen wir ihren Namen auch nicht länger wachrufen – Stunden einer sogenannten inneren Emigration. Aus solchen Rückzugsmomenten vermittelte sie uns in unseren privaten Emigrationsstunden Gedanken sanfter schicksalsergebener Einkehr:
Ein Tropfen Traurigkeit ist gut dem Blute .
Das dunkle läutert sich und schimmert heller .
Das allzu schwere rinnt ein wenig schneller ,
Das schon gestillt in satter Süße ruhte.»
«Aufs Schafott mit der Nazi-Vettel» – in der Wahrnehmung von Ida Zollicz schien Erika Mann durch ihre lauter werdenden Anmerkungen einem Skandal nicht abgeneigt. Doch selbst der Dichter wollte sich nun womöglich erheben, um für die originelle Begrüßung vielleicht zu danken und sich zurückziehen.
«Sie sind sprachlos, Thomas Mann», wich Dr. Sinther von seinem Konzept ab. «In der Tat», bestätigte ganz laut die Tochter, was der Kulturreferent ein wenig irritiert aufnahm: «Doch selbst Ihre stille Anwesenheit ist ein Geschenk. Wir wollen nicht erkunden, was der Weltgeist ist. Doch Sie bringen ihn an den Rhein zurück.» Bei Katia Mann wechselte eine Anspannung in eine vorsichtige Lockerung, sie gab die Perlenschnur frei. «Ihre Gedanken, weitgereister Kulturkundiger, behutsamer Menschensympathisant, die Sie in Lotte in Weimar Goethe in den Mund legen, rütteln uns gut auf, mahnen uns und zeigen uns gewiß einen Weg ins Lichte, denn Sie schreiben, unter der Maske Goethes, so eindrücklich: So traun sie deinem Deutschtum nicht, spürens wie einen Mißbrauch, und dein Ruhm ist unter ihnen wie Haß und Pein. Leidig Dasein, im Ringen und Widerstreit mit einem Volkstum, das doch auch wieder den Schwimmer trägt. Soll wohl so sein, wehleidig bin ich nicht. Aber daß sie die Klarheit hassen, ist nicht recht. Daß sie den Reiz der Wahrheit nicht kennen, ist zu beklagen – daß ihnen Dunst und Rausch und all berserkerisches Unmaß so teuer, ist widerwärtig –, daß sie sich jedem verzückten Schurken gläubig hingeben, der ihr Niedrigstes aufruft, sie in ihren Lastern bestärkt und sie lehrt, Nationalität als Isolierung und Roheit zu begreifen – daß sie sich immer erst groß und herrlich vorkommen, wenn all ihre Würde verspielt ist, ist miserabel. Ich will sie gar nicht versöhnen. Sie mögen mich nicht – recht so, ich mag sie auch nicht, so sind wir quitt. Ich hab mein Deutschtum für mich – mag sie mitsamt der boshaften Philisterei der Teufel holen. Sie meinen, sie sind Deutschland, aber ich bin’s, und ging’s zu Grunde mit Stumpf und Stiel, es dauerte in mir. Gebärdet euch, wie ihr wollt, das Meine abzuwehren – ich stehe doch für euch. Denn Deutschtum ist Freiheit, Bildung, Allseitigkeit und Liebe – daß sie’s nicht wissen, ändert nichts daran. »
«Thomas Mann, wir mögen dich!» rief Frau Zollicz, die nicht mehr an sich halten konnte. Ihr Buch, Lotte in Weimar , sein Dichter! Ein Messias, der den falschen Rausch verbot. Endlich hinreißende Worte in dieser Rede. Für das Zitat ging sie hin zu Dr. Sinther und drückte ihm spontan die Hand. Der Kulturreferent war aus dem Konzept. Das machte offenbar nichts. Anton Gockeln trat vor, räusperte sich bewegt und bekundete nochmals stellvertretend: «Thomas Mann, trotz allem und wegen
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