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Königsallee: Roman (German Edition)

Königsallee: Roman (German Edition)

Titel: Königsallee: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Pleschinski
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Herrenzeitmesser.
    «Sie hier!» Das konnte nun als Faktum gelten. «Endlich!» Kulturreferent Dr. Sinther hatte sich aus dem Halbkreis seiner Kollegen geschält und wurde von ihnen auch gerne allein vorgeschickt. «Schnupfen ist noch keine Grippe», improvisierte er, lachte als einziger auf und überflog seinen Spickzettel.
    «Eine Rede, verehrte Anwesende, muß nicht nur aus Wahrheiten bestehen. Die nur geschmeidige Reihung von Wahrheiten ist unnatürlich und langweilt. Alles, auch hier und heute, darf wie im Leben sein: verwirrend, kantig, bisweilen sogar monoton. Jeder Moment ist neu. Wir wissen nichts im voraus. Wahrheiten ähneln oft Floskeln.» – Wem teilte der Kulturreferent was mit? Aber vielleicht gehörte dieser Auftakt bereits zur Kategorie des Verwirrenden. Aus einer persönlichen Disposition heraus litt Frau Zollicz bei jedem Redner, der seine Haut zu Markte trug, unter Hitzeschüben.
    Der Kulturreferent mit gelichtetem Haar fingerte am Schlipsknoten und mochte vielleicht gleich den nötigen Schwung finden: «Schwere Zeiten liegen hinter uns. Dichtung jedoch tröstete immer. Ernst Jünger –»
    Die vor ihm Sitzenden, die sich alle drei ein wenig geplagt auf eine Seitenlehne gestützt hatten, erschienen auf einen Schlag hellwach, und besonders Erika Mann starrte den Redner mit weitaufgerissenen Augen und halboffenem Mund an. Gewiß, wußte Dr. Sinther, es war nicht üblich, einen Großschriftsteller mit der Nennung eines anderen zu begrüßen, aber das hatte sich an einem lauen Sommerabend bei der Gedankensammlung am Terrassentisch so ergeben.
    «Ernst Jünger, Ihr namhafter Kollege, der unter der Diktatur nicht nur im Lande blieb, sondern wißbegierig und hellwach seinen Offiziersdienst tat, er, dieser Einzelgänger, lehrte uns durch seine Schriften, daß wir ausharren müssen, stoisch, daß allüberall Bedrängnis auf den Menschen lauert. Es gibt keine Flucht aus den Tragödien des Daseins. Registrieren wir sie wenigstens präzise, so lehrte uns Jünger, kaltblütig, unerschrocken, wie ein Eiskristall am Fenster, der die Veitstänze, Maskeraden, Unrecht und Leid vorüberziehen sieht. Das Dasein gleicht einer Chronik der Zumutungen – und Zumutung ist von der Wiege bis zur Bahre fast alles, was uns altern, unglücklich sein läßt, unserem ersten frischen Blick in die Welt die Trauer beimengt. Ernst Jünger, den Sie, hochverehrenswertester Thomas Mann, gewiß wie alle Meister des Wortes auch persönlich kannten und kennen, ließ uns hier im Infernalischen, sofern wir es überlebten, ausharren und spendete seinen Lesern den Trost, daß er schicksalsergeben und dennoch wie von einer Marmorklippe aus in offenes Land schauen darf. Der Mensch ist sein eigener Herr noch im Untergang.»
    Erika Mann befand sich in einer deutlich unguten Anspannung, die auch der Mühsal einer längeren Lesereise zuzuschreiben war. Ihre Hände umklammerten die Lehnengriffe, während ihr zur Seite der Vater offenbar nicht die genehme Sitzposition gefunden hatte und sich merklich wand. Katia Mann, geborene Pringsheim, hielt den Knoten ihrer Perlenkette umfaßt. Vielleicht war es besser, empfand Dr. Sinther, auch gemäß seinem Notizzettel, nun den dichtenden Offizier Jünger, den insbesondere auch das Sterben auf den Schlachtfeldern als Stählung der Seinsgleichmut faszinierte, zu verlassen und aufs Lieblichere zu kommen.
    «Ihr Schrifttum, großer Thomas Mann, wurde in Deutschland nicht mehr verlegt, ja, teilweise öffentlich verbrannt. Aber in vielen Bücherschränken waren Buddenbrooks, Tonio Kröger und Schillers Schwere Stunde verwahrt und konnten uns in unseren schweren Stunden …»
    «Wieso habt ihr sie nicht leichter gemacht und ihn erschossen…» glaubte in der Nähe Erika Manns die algengrüne Frau Zollicz aufzuschnappen.
    «… geistige Geborgenheit vermitteln, an äußeren Frieden gemahnen und in stilistischer Könnerschaft die Tugenden des Bürgertums lebendig erhalten, als da sind Fleiß, Treuherzigkeit, Genuß an den Geschenken der Zivilisation und Kunst, Kostbarkeit des Daseins. Das verkündeten Sie, auch als Sie fort waren, durch Ihre Werke.»
    Katia Mann nickte ein wenig mechanisch. Erika Mann schien sich zu beruhigen.
    «Aber wir hier …»
    Bitte nicht schon wieder irgendeine Einschränkung oder gar nochmals Ernst Jünger, flehte innerlich Ida Zollicz, die den Kulturreferenten von anderen unorthodoxen Reden in Theatern und auf Ausstellungen kannte.
    «… wir hier verkrochen uns auch manchmal, wenn wir

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