Königsallee: Roman (German Edition)
träfe, der atemberaubende Hamlet auf die Rosa Luxemburg, der Günstling Görings auf die Messerwetzerin gegen das Regime, Mephisto auf Mephista … ein Skandal konnte nicht ausbleiben, viel eher als eine versöhnliche Umarmung … Gottlob weilte der Bühnenherrscher während der Theaterferien zur Regeneration mit engsten Beratern stets gerne gut weit fort, auf Capri und dergleichen köstlichen Eilanden.
Eis mußte gebrochen, etwas gesagt werden. Letztlich lag nichts Erheblicheres vor, als daß Geist und Verwaltungsapparat einander offenherzig begegneten. Würde die Kulturpartei gesprächsweise zum Beispiel eine Verringerung von Bürokratie, freundliche Bürgernähe im allgemeinen, mehr Leseförderung in den Arbeitervierteln fordern, denn allein Künste erhöben den Menschen zum geistigen Wesen, so ließe sich an solchem buchenswerten Vormittag Perspektivisches dazu vorbringen. «Hochverehrter Herr Dr. Mann, gnädige Frau, nicht minder froh willkommen geheißene Frau …», jetzt fehlte Anton Gockeln doch der Name des vielleicht noch virulenten englischen Ehemanns, «… Tochter und Stütze des Genies», die Überbrückung war gelungen: «Die Stadt Düsseldorf, die Sie wahrscheinlich aus rein geographischer Gegebenheit erst nach unserer schätzenswerten Rivalin Köln besuchen, mit Ihrer Kunst beehren, für viel zu wenige Stunden in ein Zentrum europäischen Geistes verwandeln, dieses Düsseldorf am Rhein, das durchaus immer wieder Schauplatz künstlerischer Entfaltung war, unter dem Patronat unseres Kurfürsten Jan Wellem – dessen herrliche Gemäldesammlung durch unselige Erbkalamitäten leider nach München geriet –, diese Stadt, in der ein Heinrich Heine das Licht einer herausfordernden Welt erblickte, hier, wo einer Ihrer Ahnen in der Dichtung, die Rede ist von Karl Immermann, der eines der innovativsten deutschen Theater begründete, dieses kleine Paris fernab der Seine, aber an einem mindestens so nennenswerten Strome, heißt in einem Nobelpreisträger den Weltgeist willkommen.»
Während die Begrüßung sich vortrefflich anließ und natürlich die Koryphäen der Stadt einmal mehr zur Geltung kamen, wurde noch eine weitere Reisetasche hereingetragen und zur übrigen Gepäckmasse gestellt. Die hohe vornehme Gästetrias schien mit ihrem halben Inventar aufgebrochen zu sein und hatte vorzeiten wahrscheinlich stets Schrankkoffer mit sich geführt. Um weiteren Störungen vorzubeugen, wurde auf einen Wink Clemens Mercks das Entrée rasch zugesperrt, und Elkers verwies vor dem Glas sonstige Gäste ausnahmsweise zum Wirtschaftszugang. Das Haus war geschult im Umleiten.
Der Dichter lächelte verbindlich oder unverbindlich – welches von beidem, ließ sich nicht zweifelsfrei entscheiden – und nickte einen Dank. Dabei zog er mit eindrucksvoll geäderter Hand, die ein Lapislazuli schmückte, die Enden seines Schals zusammen. An seiner Brust vorbei blickte die Mutter die Tochter an, die Tochter gab ein kleines Zeichen. Mit der Handtasche am Arm trat Katia Mann einen halben Schritt vor und sagte frisch heraus, ohne die mindeste Affektiertheit und fast wie eine Marktfrau vom Carlsplatz: «Schönen Dank, meine Herren und meine Dame», sie hatte Frau Zollicz erspäht, «das ist ein ganz famoser Empfang. Und so überraschend, nachdem wir ja längere Zeit keine Droschken fanden. Wir sind gern in Düsseldorf. Thomas Mann war vor Jahrzehnten öfters hier. Mal zu Lesungen, mal zu Besuch bei einem bekannten Kunstmaler und», sie räusperte sich, «dessen Familie. Ja, Thomas Mann verspürte zeitweise einen wahren Drang, ihren wunderschönen Rheinbogen entlangzuspazieren – beim Spaziergang sammeln sich stets seine Gedanken – und auch Kontakt zur regen Düsseldorfer Jugend zu pflegen. Damals.»
Davon hatte noch nie jemand gehört. Doch war es begrüßenswert, daß der Ort, seine Einwohner und ihr Nachwuchs eine offenkundig sogar nennenswerte Bedeutung für das Dichterwerk besaßen. Welcher Maler mit Familie kam als Anziehungskraft in Betracht? Erika Mann blickte ein Gran unwirsch zu ihrer Mutter, die denn auch schloß: «Wir sind gerne hier. Das soll genügen. Und gerne hätten wir unseren Aufenthalt für Sie vorteilhafter gestaltet. – Aber leider kann Thomas Mann nicht sprechen.»
Das Entsetzen schoß derartig schnell in die Gesichter und geriet so total, daß die paspelierte Gattin geradlinig anfügte: «Keine Silbe.»
Keine Ansprache? – Keine Lesung? – Weshalb war er überhaupt angereist? Er hätte in Köln
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