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Königsallee: Roman (German Edition)

Königsallee: Roman (German Edition)

Titel: Königsallee: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Pleschinski
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sich um. «Sofort nach dem Sieg bereiste ich das Land. Ich fand es zerstörter, als ich vermuten konnte. Die schlimmste Wüstenei seit dem niedergebrannten Karthago. Aber es hat noch selten jemand für länger aus der Geschichte gelernt. In Berlin wurde von einem Klavier ein preußischer Marsch durch die Ruinen geklimpert. Auf der Straße war die Wirtschaft zum Schwarzmarkt geschrumpft. Verstümmelte Männer zuhauf, Rotarmisten, die Fahrräder ohne Bereifung ausprobierten, geschundene Frauen, die einen schäbigen Muff gegen ein Ei tauschen wollten, Deutschlands Hauptstadt, aber auch piekfeine Herren, die offenbar immer als Fettaugen oben schwimmen. Ein Mann berichtete mir von einem Wehrmachtskameraden, einem Leutnant, in dessen Tagebuch er blättern durfte. Täglich während des Krieges auf der linken Seite ein Gedicht, das der Leutnant nicht vergessen wollte, Hölderlin oder Rilkes Und dann und wann ein weißer Elephant … auf der rechten Seite einmal die Eintragung: Es ist eine seltsame Sache. Als ich der ersten Russin in den Rücken schoß, zitterte ich. Jetzt fühle ich mich nicht wohl, wenn ich nicht zehn pro Tag erschieße. Jedesmal, wenn ich abdrücke, kriecht etwas Warmes und Angenehmes mein Rückgrat hoch .» Sie hielt nicht inne: «Die Deutschen haben bewiesen, daß sie sich nicht selbst regieren können. Was die deutsche Politik betrifft, so darf es überhaupt keine geben, Klaus. Die Besatzer müssen bleiben und umerziehen. Schulbücher aus Amerika und England müssen bearbeitet und übersetzt werden. Wenn man ein ganzes Volk entlassen könnte, wäre es der Moment gewesen. Gewiß, die kleinsten Kinder waren unschuldig. – Ich besuchte einen Dichter, der von sich reden machte. Als Stimme des Widerstands. Werner Bergengruen. Er war nie ein Nazi gewesen. In seinem Band Dies Irae fand er manches starke und bewegende Wort gegen die moralische Verdorbenheit und die geistige Aushöhlung, der die Nation zum Opfer gefallen war. Doch auch wenn Bergengruens Worte von Reue sprachen, gelang es ihm doch, dies Land als das auserwählte Land darzustellen, das gewissermaßen vom Schicksal für Prüfungen nie dagewesener Bitternis auserkoren wurde.» Aufs Geländer gestützt, lehnte sie den Kopf zurück: « In vielen Gestalten bin ich gekommen, Ihr habt mich in keiner erkannt. Ich klopfte bei Nacht, ein bleicher Hebräer, ein Flüchtling, Ihr riefet dem Schergen, ihr winktet dem Späher. Ich kam als Gefangener, als Tagelöhner, verschleppt und verkauft, von der Peitsche zerfetzt. Nun komm ich als Richter. Erkennt ihr mich jetzt … Völker, wir litten für euch und eure Verschuldungen. Litten, behaust auf Europas uralter Schicksalsbühne, litten stellvertretend für alle ein Leiden der Sühne, der Abfall war allen gemein. Völker, vernehmt mit uns allen das Göttliche: Bereuet!» Erika Mann löste sich von der Brüstung. «Soll ich solche Verse schamlos, dumm oder raffiniert nennen? Völker, Schicksal , die Begriffe sind unerträglich geworden; die Deutschen als Opfer einer kosmischen Verstrickung! Dabei hätten sie nur einen Marschbefehl verweigern oder geschlossen zum Beten in die Kirche gehen müssen.» Ihr Blick war stechend: «Wo warst du, Klaus? – Verzeih, wenn das welke Weib so schwätzt. Bin halt doch noch eine Pfeffermühle, die sich dreht. Schweigen werden wir dann. – Wo aber warst du?»
    Ihr Lächeln widerstritt dem inquisitorischen Blick, bei dem Klaus meinte, sie könnte ein Pistolet hervorziehen und ihn niederstrecken, wenn er Ukraine, Generalgouvernement Polen oder noch zögerlicher Division Das Reich, Sonderkommando … bekennen würde. Wäre einer Gerechtigkeit genüge getan? Anwar würde ihn nach fatalem Handgemenge rächen und nach fünf Tagen in Deutschland als Mörder Erika Manns in die Geschichte eingehen, der Bedauernswerte.
    «Wo?»
    «Oft in Emmabad», sagte er, «nach der Regenzeit habe ich versucht, dort Polo zu lernen. Aber die Geschicklichkeit zu Pferd fehlte mir.»
    «Plumps», amüsierte sich Anwar mit seiner ersten Äußerung seit dem Einbruch des Besuchs auf das Stichwort vom Reiterkampf und schob sich auf die Bettkante, um sich Tee nachzugießen.
    «Du bist emigriert?» Erika Mann ließ sich zwischen der Fenstertür und dem Indonesier auch auf der Bettkante nieder, blieb Klaus zugewandt und wirkte beglückt: «Ich hoffte es, nein, ich wußte es.»
    «Oh, nicht direkt emigriert, ich wollte nur freier leben, aus Büros an die Luft, einmal allein ohne Rückkehrgarantie in die Ferne», er

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