Königsallee: Roman (German Edition)
Zeigefinger auf der Stirn setzte sie dahinter etwas in Gang. «Für seinen Achtzigsten nächstes Jahr habe ich mir schon eine Huldigung ausgedacht, die ich vorführen werde.» Mit einem Räuspern war Erika Mann in einer Rolle, deren Stammessprache Anwar als Klangmasse wahrnahm. «Herr Roßgoderer», kündigte sie mit verstellter Männerstimme an: «Ich fang jetzt an und erzähl a bissl was von den Werken, ned woa, von diesem Thomas Mann. Als der hat seinen ersten großen Bucherfolg g’habt mit am Roman namens ‹Puddenbruch – Abfälle einer Familie›. Darauf Frau Motzknödel», fiel sie ins Falsett: «Ja, ich weiß nicht, Herr Roßgoderer, wenn man sich denkt eigentlich, was so eine ganze Familie also für Abfälle z’samm bringt, ned, da muß man schon so a Ding, a Einbildungskraft, gell, a Phantasie mitbringen. – Roßgoderer», sank die Stimme: «Fernerhin – ich hab’ den Sketch noch nicht ganz fertig – hat er dann, hat ein sehr nettes Mädchenbuch geschrieben, Frau Motzknödel, des heißt: ‹Lotte Kröger›. Also ein sehr hübsches Buch soll’s sein und hat ja auch einen schönen Erfolg eingebracht. Sodann ham wir zu vermelden eine größere Erzählung, die auch einiges Aufsehen aufgewirbelt hat, die heißt ‹Der Tod in Weimar›. Ich persönlich, Sie, habe keine Ahnung, was in dem Ding also da drinsteht, aber …» Aus dem Baß wechselte sie wieder ins Gepiepse von Frau Motzknödel: «Also ich hab g’hört, grad die Erzählung, ‹Der Tod in Weimar›, also das sei also äußerst – Ding, ned – also schwül, schwül.» Klaus Heuser grinste bestens unterhalten und bestaunte die Darbietung in der Türbühne. «Ja, verzeihen Sie, Frau Motzgoderer, äh, Motzknödel, wollen Sie damit andeuten, daß unser Jubilar, der Thomas Mann, der, also ein Ding g’schrieben hat, ein … ein perverses Buch. Sie: Mein Gott, also ich mein, natürlich – es is’ halt a Ding … es is’ ebend halt schwül, ned. Also die Geschichte vom Tod in Weimar ist, glaub’ ich, die, hab’ ich mir sag’n lassen, daß ein blutjunger Bub, ned wahr, verliebt sich wie verrückt, also zum Sterben verliebt er sich in einen älteren Herrn, einen Schriftsteller … Er: Ach. Motzknödel: Und zwar so sehr, also dermaßen, daß das Kind, der Bub, der blutjunge, schließlich dann an der Beulenpest stirbt. Da kamma aa’ nix mach’n.»
Ob des offenbar nicht zu bändigenden Elans seiner Besucherin mußte Klaus hell auflachen: «Pest in Venedig, okay. Tadzio verliebt sich in Aschenbach. Auch neu.»
«Für den Schluß meiner Gratulationscour noch etwas Besonderes.»
«Das wird man in Zürich hören?»
«Aber ja doch. Und der schöne Höhepunkt wird’s werden der steifen Veranstaltung, Minister werden kommen, aus Ost und West, tagelang roter Teppich. Aber wenn ich spiele, das liebt er ungeniert. – Ja», ihre Stimme war oben, «wie ist denn das mit seiner Person, Herr Roßgoderer», improvisierte sie das Geplante, «ist er immer ein guter Deutscher g’wesen, und alles? – Ja, also, Frau Motzknödel, also da muß man auch wieder der Wahrheit die Ehre geben und muß sagen, er war ein sehr guter Deutscher im Ersten Weltkrieg, ned woa, ausgezeichnet, hat er da mit der Feder sich hingestellt und hat kämpft, ned, und ‹Die Memoiren eines Politischen› g’schriebn; und dann aber leider Gottes hat er sich nicht vertragen mit unserm Kanzler Hitler und ist infolgedessen fort von seiner Heimaterde, ned woa, und hat dann leider Gottes vom Ausland her den Zweiten Weltkrieg entfacht, der Herr Schriftsteller. Und das ist natürlich eine schwere Verantwortung, ned … Aber jetzt, wo wir den dritten Weltkrieg wirklich brauchen, wo’s darauf ankommt, daß ma den Russen wirklich amal ausrotten, jetzt steht er da, der Herr Thomas Mann, ned, und sagt: I mog nimmer. Jetzt sagt er halt: keinen dritten Weltkrieg. Trotzdem wollen wir diesem Schriftsteller deutscher Sprache für sein neues Jahrzehnt, das neunte, ned woa, alles Gute wünschen. – Sie vernahmen die Station Das Wort im Gebirge – Roßgoderer sprechend.» Erika Mann fand zu ihrer normalen Stimme zurück: «Nun? Eine Idee.»
«Mußt du aufführen», bestärkte sie Klaus, «wenn unsereiner so etwas könnte, auch nur im Ansatz. – Ich hab’ zu Vaters Geburtstagen bestenfalls ein Gedicht aufgesagt. Mein Geigenkampf vertrieb die Leute.»
«Produktive Kleinigkeiten. Schön. Wenn’s dir gefällt.»
«Was für eine Ehrung durch die Tochter. Und wie dein Herz noch an Bayern hängt.»
Weitere Kostenlose Bücher