Königsallee: Roman (German Edition)
«Eine Schwäche, aber es ist ja auch ein Anarchenland.» Anwar applaudierte spät, aber mit gutem Willen. «Sehr gut Familie.» Er hatte etwas erfaßt. Angesichts interner Rivalitäten, Problemen im Autoverkehr, charakterlicher und weltanschaulicher Fehden im Künstlerhaushalt, auch einiger Freitode, wirkte die Einschätzung rosig. Die Kinder Monika und Golo, erinnerte sich Klaus, hatte wegen ihres verhältnismäßigen oder vermeintlichen Stumpfsinns und ihrer geringen körperlichen Grazie niemand im Hause gerne um sich gehabt. Die Stammutter Julia, verherrlicht als Konsulin Buddenbrook, war nach ihrem finanziellen und vielleicht auch geistigen Abstieg auf dem Lande mehr oder weniger versteckt worden. Und die Brüder Heinrich und Thomas hatten sich über Jahre nicht einmal gegrüßt, weil ersterer für die scharf-sozialkritische Literatur plädiert hatte, während der jüngere sich in die Feinheiten von Geschichten des persönlichen Verfalls vertieft und, in einem kriegerisch-nationalen Aufbrausen, die Beschießung französicher Kathedralen bejaht hatte. Als stetes Heil und wohltemperierten Familiensegen ließ sich das nur vom indonesischen Bett aus bezeichnen. Schon der Nachwuchs hatte wegen seiner oft sehr inspirierten Zügellosigkeit, gepaart mit Unlust an verschultem Wissen, wechselnde Erziehungsinstitute kennengelernt. Odenwald-Schule und Salem. Der begabte Namensvetter hätte nach dem Wunsch des Vaters am besten Tenor werden sollen, um daheim auch die Parsivalpartie vorsingen zu können, doch er hatte mit einem Theaterstück über die Verwirrungen der Liebe, auch Inzest, debütiert und für reichsweite Furore gesorgt. Die Manns – bereits vorzeiten eine kräftig befeuerte Montgolfière, die sich, obwohl arg schwankend und auch auf dem Weg zur Selbsterkundung, über deutsche Dächer erhob. War im vergleichbaren Clan der Familie Bach alles friedlicher und gleichförmiger verlaufen? Dort, in Leipzig, hatte man mehr musiziert; hier wiederum wurden die Zerreißproben der Existenz verschriftlicht, in Narkotika ertränkt oder als Gebirgszwiegespräch vorgetragen. Auf alle Fälle blieb es bewegend, sich an einem Nordseetag getroffen zu haben. Als vor der Weltwirtschaftskatastrophe sich die Republik gerade zu festigen schien und die Comedian Harmonists für Swing und gute Laune sorgten, Mein kleiner grüner Kaktus aus Kastilien …
Erika Mann nahm Platz im Cocktailsessel. An sich wollte Anwar ins Bad. Er blieb. Das Gesicht der Künstlerin verwandelte sich beängstigend. Die spürbar graue Stirn unter dem Make-up lag in Falten, ein Augenlid zuckte. Sie atmete so vernehmlich durch, als stünde ein bedeutendes Bekenntnis an. Ein bißchen Spatzengelärm erinnerte an den Sommertag.
«Klaus.» Weiterhin klang der Name aus ihrem Mund wehmütig und sank trotz der nur einen Silbe traurig ab. Der Angesprochene nickte bereitwillig. Und natürlich mußte einiges erklärt werden. Nicht im geringsten war klar, weshalb ein Phantom früherer Zeiten, eine Frau, mit der er als Jüngling nur kurz unter einem Dach gelebt hatte, ins merkwürdige Doppelzimmer gestürmt war, enorme Schicksalswendungen darlegte, und weshalb sie überhaupt eine Rheinreise unternahm. Denn ihren geschiedenen Mann wollte sie nach eigenem Bekunden nicht aufsuchen.
«Bei passender Gelegenheit, Klaus, wirst du mehr von dir, von euch», bezog sie den zweiten auch mit einem Blick ein, «erzählen müssen. Unbedingt! Bis tief nach Asien bin ich nicht gekommen. – Klaus, ich weiß Bescheid. Ich weiß natürlich nicht restlos Bescheid. Aber du, soviel ist sicher, und du weißt es, du warst wie ein Schwerthieb, die große Morgenröte, die bedrohliche Offenbarung.»
Klaus Heuser rauchte unruhig.
«Du hast Geordnetes aufgewühlt. Es war nicht leicht, nach deinen Abreisen zum Tagesgeschäft überzugehen. Seine Unruhe und seine Trauer, ich sollte sagen, seine Glückstrauer, mühsam wieder zu glätten. Ich kam damit zurecht. Aber meine Mutter mußte mit einem Treuebruch umgehen.»
Anwar schien angestrengt jedes Wort begreifen zu wollen.
«Sie war an viele geistige Eskapaden gewöhnt. Sie ist freizügig. Sie weiß, daß er sich vergaffen, innig lieben muß, um sein Gemüt aufzuwärmen, um die Macht der Liebe, also das Größte, zu spüren. Jünglinge betören ihn, deswegen sind seine Frauengestalten, nun, sagen wir, eher originell als … egal. Wenn zwei Frauen sich lieben, hat ein Mann keine Macht darüber. Wenn zwei Männer es tun, sind Frauen ohne Waffen. Mielein
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