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Königsallee: Roman (German Edition)

Königsallee: Roman (German Edition)

Titel: Königsallee: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Pleschinski
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Wiederbegegnung zwischen Kandelabern am Sarg … ein gedankenloser, abscheulicher Sohn wäre er gewesen. Was man einander im Leben nicht schenkte? Gewiß verbargen Mira und Werner hinter ihrer Beschwingtheit eine sonst vielleicht erdrückende Rührung, endlich, endlich ihren Sohn wiederzusehen, seine Hand zu fassen, ihn wieder von ihren Tellern essen zu sehen. Er, Klaus, war doch ihr Herzblut, und nur weil er das war, hatten sie ihn auch nach dem Krieg nicht bedrängt, schleunigst die Koffer für ein Wiedersehen zu packen. Mit ihrem Herzblut gingen sie fein und nachsichtig um; ihn hatten sie in die Welt gesetzt, durch alle Kinderkrankheiten aufgepäppelt, hatten sein Pubertieren ertragen. Gewiß konnte sich hinter ihrer Wiedersehensfreude auch der Vorwurf verbergen: Achtzehn Jahre hast du uns nicht sehen müssen! Das ist traurig, aber überspielen wir’s.
    Klaus Heuser umfaßte fest das dunkle Eisen des Mansardengeländers. Schön war das Gezack seiner Stadt, die sich ins blühende Land verlor. Der Rhein schien viel Ballast mit sich forttragen zu können. Vielleicht galten viele Düsseldorfer als muntere Naturen, weil der Fluß sein Bett längst auch durch die Gemüter gegraben hatte und Kümmernisse zwischen den Kähnen mit in den Norden schwemmte, wo rheinländische Sorgen sich vor Hollands Küste in Dünung verloren.
    Was kamen jetzt Erika Mann und der Zauberer dazwischen? Klaus Heusers Stirn runzelte sich. Eine Frechheit war’s, ihn aufzufordern, Thomas Mann nicht zu treffen, ja, sich sogar vor dem Schriftstellermenschen zu verbergen. Er atmete gerade, etliche Meter tiefer, im selben Gemäuer. Sollte er, Klaus Heuser, weltläufiger Exportkaufmann, sich wegen eines Vorkriegskusses in München, jetzt hier im Fahrstuhl, beim Durchqueren der Halle wie ein Ganove hinter einer Zeitung verbergen?
    Er beugte sich vor und spähte hinunter durch Fenster in der vierten Etage. Vorhänge waren geschlossen. Daneben erblickte er eine weißhaarige Dame mit Schultertuch, die strickte. Warum tat sie das in einem Hotel und nicht zu Hause? Vielleicht war sie die Tante des Eigentümers, die hier durchgehend untergebracht war. Hinter einem Fenster weiter, in das er gerade noch verhalten Einblick nehmen konnte, stand eine Kinderkarre, offenbar leer.
    Er hatte nie je zu einer Lesung gewollt und hatte nun überdies Besuchsverbot erteilt bekommen. Dreist und seltsam. Was fürchtete die furiose Überfallstochter? Daß es dem bejahrten Thomas Mann in aller Öffentlichkeit die Sprache verschlagen würde, wenn er seine Liebe wieder erblickte? Den Schopf, das Gesicht, die dunklen Augen, aus denen sein Blick manchmal getrunken hatte, in tiefen schmerzlichen Zügen? Rosalie und Ken Keaton – falls man es denn leichtfertig so umschreiben wollte –, und Erika Mann steigerte sich ahnungslos in die Rolle der übergescheiten Tochter Anna … Klaus Heuser mußte lächeln: Gefühle lenken zu wollen, war natürlich das Aussichtsloseste unter der Sonne.
    «Ich nehm Schaumbad in Badewanne», vernahm er von hinten, «in Rheinwasser. Du kannst überlegen, wo essen heut abend. Aber nicht Linsenbombe.»
    Klaus Heuser nickte und wischte mit der rechten Hand langsam über die Brüstung. Gut. Sollte der große Mann Ruhe haben. Die Tochter kannte ihn vielleicht am besten. Und Eri – die er nach dem bißchen Bekanntschaft von 1927 kaum Eri nennen durfte – hatte recht. Wie sollte eine Wiederbegegnung geraten? Guten Tag, erkennen Sie mich noch? – Nun, wenn ich mich so recht konzentriere, mein Herr … Sind Sie nicht der Sohn des durchaus hochschätzenswerten Kunstmalers Heusler, vielmehr wohl Heuser, der weiland die Sommerfrische auf Sylt mit höchst fidelem Anhang verbrachte? O ja, der Herr Klaus Heuser selbst ist es, nein, wie er hier so vor mir steht … Und war ja auch einst genehmer, ach was, genehmster Besuch in unserer Isarstadt. Pardauz, sagt man, hier steht er nun. Hoffe, es geht recht wohl. Ein lieber Junge gewesen, wenn ich so sagen darf. Noch im kaufmännischen Dienst? Ehrenwert, ja, ja. Handel nährt den Tüchtigen. Sollten uns gelegentlich, wenn alle Umstände eben sind, ein Quentchen ausführlicher sehen … Hier ruft denn doch arge Pflicht, der Ministerpräsident will den greisen Dichter sprechen. Wozu noch, als könnten wir dem großen Schabernack noch Geist einhauchen …
    So, vor dem großen Hallenkamin, zwischen einem Pulk von Leuten, gut möglich, und aller Zauber vertan. Oder würden sie sich wortlos in die Arme sinken, einander

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