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Königsallee: Roman (German Edition)

Königsallee: Roman (German Edition)

Titel: Königsallee: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Pleschinski
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erwünschten Nichts, der Ruhe widersprach in diesem Moment totaliter der Anwesende. Durchspenstern fledermäusig Nacht und Tag. War er gewaltbereit? Der Mann hatte dürre Finger, in denen scharfe Kraft lauern konnte. «So. Nun auf Wiedersehen. Hinaus», befahl Klaus, «hier gibt’s nichts zu holen oder zu entdecken. – Und gemahlen wird auch nicht.»
    «Sie kennen mich nicht?»
    «Nein. Ganz und gar durchaus nicht.»
    «Kennen mich unbewußt.»
    «Dabei wird’s bleiben.»
    Der Fremde lachte bitter auf. Er hatte gelbe unregelmäßige Zähne. Der Filzzipfel der Baskenmütze ragte schief auf. Die Fingerkuppen schabten an der Wand. «Das Nichts, wer hätte das vermutet. Doch vielleicht kann sich’s wenden, schwarzes Mehl wird weiß.» Klaus’ Blick wechselte zwischen dem Kurbelverschlag und dem Telephon. Eines hatte er nicht in Rechnung gestellt: Falls in diesem trüben, schweren, irrlichternden Land auch Nervenheilanstalten in Schutt und Asche gesunken waren, so hatte man möglicherweise diverse Fälle vorübergehend in Pensionen und dergleichen untergebracht, aber beaufsichtigte sie nicht hinreichend.
    Er trat ans Telephon: «Ich rufe Herrn Starke.»
    «Wer auch immer das ist, rufen Sie ihn nicht.» Klaus Heuser gewahrte vor sich den Mann auf die Knie sinken. Trotz untergeklemmter Aktentasche faltete er die Hände, beugte den Kopf, blickte dann flehentlich hoch: «Sie ist weg, das ist die Hauptsache, nein, eine Nebensache, aber doch wichtig. Sie, Herr Heuser, nur Sie können mein Leid mildern, den Fluch von mir nehmen, Nord mit Süd versöhnen, das Raunen der Eschen mit dem Grillengezirpe, teutsches Land mit der Welt, die Schicksalsmacht mit dem Klimbim der Zivilisation, nur Sie – sonst empfängt mich niemand …»
    «Wenn Sie dermaßen schamlos herumschleichen.»
    Er hielt den Hörer umfaßt. Der alte Kniende schluchzte. Sein Brillenbügel war mit einem Pflaster geflickt. Er kam in Gnomenhöhe auf Klaus Heuser zugerutscht.
    «Sie kennen meinen Namen?»
    «Natürlich», murmelte der Weißhaarige. Kurz griff er nach Klaus’ Hand, ohne sie zu berühren. Das Wasser hinter der Tür plätscherte kaum vernehmlich für die letzte Temperaturmischung.
    «Ich bin einer von ihnen», murmelte der Mann, der auf seiner Bügelfalte kniete. Welch barer Unsinn. Zur Familie gehörte der Alte nicht, auf Überseehandel deutete gleichfalls nichts, den Polo-Club von Padang, der seit der Revolution gewiß nicht mehr existierte, hatte Klaus vor Jahren verlassen, danach hatte er keiner Vereinigung angehört. Der Alte ließ Tasche und Mantel fallen und umarmte Klaus’ Knie. Dem schwante etwas. «Nicht doch», sagte er, wie man es reflexhaft tun mußte, wenn jemand vor einen rutschte und flehentlich die Knie umschlang. Die Situation war ebenso irrwitzig wie peinsam. Klaus versuchte freizukommen, doch bewegte er nur vorsichtig die Beine. Potentaten hatten manchmal mehrmals täglich mit solcher Bedrängung umzugehen, die Sultane auf dem Archipel. Die Augen hinter der Brille behielten ihn im Visier: «Er hatte ihn gewollt, nicht mich, aber er blieb mir treu, obwohl er uns trennen wollte.»
    Klaus spitzte die Lippen. So hatte er es vorzeiten in einer Filmkomödie von Ernst Lubitsch gesehen, als durch sämtliche Türen eines Appartements die Leute hereinpolterten, kreischten, schrien, aufgeregte Statements von sich gaben, und der Schauspieler im Zentrum des Krawalls, es war vielleicht Gary Cooper gewesen, nur noch die Lippen spitzte.
    «Und dann kam natürlich noch er dazu.»
    «Aha.»
    «Zusammengehörigkeit, aber auch Rivalität, ja, Todfeindschaft.»
    «Natürlich.» Sollte die Kröte im Zweireiher ruhig noch ein wenig vor ihm knien. Nach einigem weiteren Gefasel ginge ihr die Luft aus, würde sie sich aufrappeln und hechelnd das Weite suchen. «Er kannte ihn kaum, war aber eifersüchtig, der andere auch, und ich vielleicht am meisten. Der Meister sprach nie seinen Namen aus, andersherum war es ähnlich. Aber darum geht es jetzt gar nicht.»
    Klaus, wiewohl in der Bewegung blockiert, sah sich nach einer Zigarette um. Eigentlich ein Jammer, daß Anwar nichts mitbekam, im Badeschaum versank und meinen mußte, die Spätnachmittage im fünften Stock würden eintöniger verlaufen als die Stunden davor.
    «Stefan George wollte Ernst, nicht mich. Der Meister war unerbittlich.»
    Klaus Heuser wurde schwindlig. Er sank in den Stuhl am Frisiertisch und schleifte das Klammergerippe wohl ein Stück mit. George!, Stefan, was meinte das jetzt? –

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