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Königsallee: Roman (German Edition)

Königsallee: Roman (German Edition)

Titel: Königsallee: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Pleschinski
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schauen. Hoffentlich rückten die Rotchinesen nicht ein. Er lachte kurz laut auf. Dem Wortschwall seiner Eltern hatte er entfliehen wollen. Derzeit erschien ihm seine Mutter wortkarg. «Was tun Sie da?»
    «Nur kurz. Ich habe meine Wange seit zwanzig Jahren an kein Knie mehr geschmiegt.»
    «Ich bin selbst schon gut vierzig.»
    «Ernst Glöckners Alter, als er 1934 mit seiner Hand in der meinigen starb.»
    Nun, besonders in solchem Fall konnte man einem Greis ein tiefes Luftholen am Knie schlecht verweigern.
    «Sie müssen mir helfen.»
    «Meinen Sie, ich kenne Stefan George?»
    Der Alte versuchte sich hochzustemmen. Klaus griff ihm um den Jackettstoff und spürte knöchrige Arme. Mit großer Anstrengung beiderseits gelang es, daß der Gelehrte wieder auf die Beine kam. Ganz sicher stand er nicht. Er registrierte zum ersten Mal einen Singsang, der aus der Ferne kam. Auf die Vorstellung von einem Indonesier, der eine sorgfältige Maniküre und Pediküre schätzte, verfiel er anscheinend nicht. Er horchte eher zum Fenster.
    «Da», empfahl Klaus.
    Herr Bertram gewahrte den Cocktailsessel. Mit einem Stöhnen ließ er sich aufs rote Polster sinken. Das Möbel, das augenscheinlich für eine amerikanische Zukunft stand, paßte wenig zu einer Gestalt, die das Mysterium des Übermenschen verkündet hatte.
    «Mein Schaffen gefiel auch in der Poschingerstraße. Kein Wunder. Dort bekannte man sich gleichfalls mit Nietzsche zum faustischen Drang. Kreuz, Tod und Gruft hieß die Losung. Der Blick in die Finsternis lehrt Tiefe.»
    Klaus’ Unbehagen war neu entfacht. In der Poschingerstraße war er als Gast willkommengeheißen worden.
    Ernst Bertram öffnete geübt die Verschlüsse seiner Aktentasche. Eine Blechbüchse wurde sichtbar. «Ein Butterbrot. Für alle Fälle.» Er zog eine Mappe hervor. «Die Beweise. Kostbarkeiten jetzt.» Sein Gegenüber erkannte die Schrift. Sie besaß die nämliche nach rechts fallende Steilheit, die markanten Unterlängen des f und des ß wie bei der Post, die er aus Zürich in Padang empfangen hatte. Die Konstellation wurde unheimlich. Der Gast griff einen Briefbogen an einer Ecke: «Als geistvollen, streng und hoch denkenden Kritiker schätze ich Sie längst, der Künstler, der Lyriker Ernst Bertram war mir unbekannt. Er ist mir ein unendlich sympathischer Geist. Wo ich Ihr Büchlein aufschlage, finde ich Dinge, die ich oft, immer wieder lesen kann – wie zum Beispiel das Gedicht Ruhender Hermes, dessen Schluß einfach köstlich ist: Da hebt der Gott die Augen in dir auf, du Zierlichster, und in der Sonne blinkt der warme Fels, darauf du leicht verweiltest . Das ist Georgischer Geist, von einer weicheren Natur empfangen, gehegt und neu gebildet.» Das Blatt sank. «Der Autor vom Tod in Venedig besaß den Sensus für Schemen am Meer. Man meint geradezu immer leichte Dünung und Plätschern zu hören.»
    Heuser räusperte sich aus zwiefachem Grund.
    «Der Kontakt mit Thomas Mann verdichtete sich, wenn ich es so benennen darf.»
    «Bitte.»
    «Ich wurde in die Poschingerstraße geladen, übers Wochenende ins Landhaus nach Tölz. Satt und heiß war der Sommer 1914, Europa sonnte sich in Überfluß und seltsam fiebriger Langeweile. Auf meine Briefe trafen immer häufiger Schreiben ein, in denen es hieß: Lassen Sie sich wieder sehen? – Sie müssen mit dem etwas harten Bett unseres Fremdenzimmers Bekanntschaft machen. – Ich habe allerlei vorzulesen. Sind Sie frei? – Es verlief zügig. Ich avancierte zum engsten Gesprächspartner Thomas Manns. Und zu seinem Ratgeber. Sein literaturgeschichtliches Wissen, auf dem doch viel solide Arbeit basiert, war lückenhaft; er hatte nicht studiert und viel Zeit mit Musik, Beobachtung, Augengrasen, wie er es nannte, und mit dem Bau seiner Dynastie zugebracht. Adalbert Stifter hielt er für einen Schweizer. Ich legte ihm das Werk des Oberösterreichers dar. So manche Zitatesammlung aus der Weltliteratur stellte ich ihm zusammen, die unser Gespräch belebte, etwa Goethes Wort: Man geht nie weiter, als wenn man nicht weiß, wohin man geht. – Das flößt jedem Suchenden Mut ein.
    Bisweilen erkundigte sich Thomas Mann nach Stefan George, beide in einer Stadt, doch einander feindlich bis ins Mark. Der Dichter der Buddenbrooks hatte sich am Versiegen eines Händlerclans abgearbeitet; der andere forderte Entgrenzung. Der Lübecker drängte jede orgiastische Zuckung aus seinem Dasein; der Künder aus Bingen labte sich an Jünglingsscharen. Gar nicht erstaunlich: Der

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