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Königsallee: Roman (German Edition)

Königsallee: Roman (German Edition)

Titel: Königsallee: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Pleschinski
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überrumpelt und bedrängt gefühlt, so schien ein Unbehagen nun auf den Herrn Professor überzuwechseln. Der versuchte sich in einem Lächeln, das einnehmend wirken sollte, und hielt sich geradezu an seiner Butterbrotbüchse fest.
    «Wüste Zeiten, schlimme Geschehnisse, Wörter können nur daran erinnern. Ich bekam einen Lehrstuhl in Köln und zog mit Ernst ins Westreich. Doch was war am Rhein noch deutsch und Vaterland? Gemäß dem Schandfrieden von Versailles, der Deutschland die alleinige Kriegsschuld aufbürdete – als hätten nicht auch in Paris und London die Massen den Waffengang bejubelt …»
    «Ist wohl kompliziert, kommt wohl darauf an, wer zuerst marschiert und wer siegt.»
    «… wurde Deutschland ausgeplündert und versklavt. Kolonien und Handelsflotte weg, Oberschlesien und das Elsaß fielen an den Feind, Tausende von Lokomotiven waren auszuliefern, Telephonmasten wurden nach Frankreich transportiert, und die gewaltigste Entschädigungssumme aller Zeiten, unvorstellbare fünfzigtausend Tonnen Gold, sollten bis in die Enkel- und Urenkelgeneration in die Kassen der Rachsüchtigen fließen.»
    «Ich meine, Herr Professor Bertram, die Unterjochungspläne der Deutschen hätten nicht viel rosiger ausgesehen.»
    «Und sie marschierten ein. Besetzten das Rheinland, um das letzte herauszuquetschen und das Reich auf alle Zeit zu entmannen.»
    «Das war nicht schön», entsann sich Klaus recht gut, «belgische Soldaten besetzten Oberkassel, die Düsseldorfer Altstadt war französisch, und wollte man nach Benrath, mußte man seinen Paß den Briten vorzeigen. Jede Tasche, jeder Handwagen wurde untersucht. Der Frieden erneuerte den Haß.»
    «Da war Widerstand vonnöten. Entwaffnet, gedemütigt, mit ohnmächtig zänkischer Republik im Hintergrund, konnten nur die Geisteskräfte das Volk zusammenschweißen.»
    «Nun ja, schweißen? Viele kollaborierten recht einträglich mit den Besatzern, andere waren froh, daß wenigstens das große Sterben vorüber war, und endlich gab es Demokratie. Meine Mutter durfte erstmals wählen, mein Vater malte freier und expressiver als je zuvor. Dies brodelnde Deutschland wurde das Laboratorium der Moderne.» Klaus stockte, diese Umschreibung hatte er damals vielleicht zu Hause aufgeschnappt; seine Schwester sah er im kurzen Charlestonkleid mit Fransen überm Knie vor sich. Kino, Revue, Boxkampf, alles, was die erregten Menschen ablenken oder noch weiter erregen konnte, hatte auch Düsseldorf, trotz der Besatzung, in einen Tanzboden verwandelt, an dessen Rand zahllose Bettler hockten und Parteien ihre Programme herausschrien, Rotfront voran!, Enteignet Krupp und Stinnes … Danzig bleibt deutsch … Für Versöhnung und sozialen Frieden, Reichskanzler Müller. In fünf Jahren Zeppelin für jedermann! , die tollsten Phrasen und Parolen.
    «Gegen die Verwilderung, das Diffuse, die Sie in jungen Jahren vielleicht betörten…»
    «Es war viel Aufbruch zu erleben.»
    «… half nur Besinnung auf deutsche Werte.»
    Klaus hatte schlagartig das Gefühl, als entwiche Sauerstoff aus dem Zimmer.
    «Ich tat mein Bestes, stand meinen Mann, als Germane und Träger auserkorenen Bluts. Sie kennen aus der Schule meine Verse über Speyer während der Franzosenpest? Marokkaner patrouillierten unter dem Kaiserdom.
    Ihr Menschlichen, die mit Schimpansenzeh
Nach unsern Knaben greift und Enkelmütter,
Tiere, gehetzt aus heißem Schlangenwald,
Zwangt ihr umsonst an diese heilige Flut.
Gegraben steht: ihr selbst bestelltet euch
Furchtbar die Gorgo eures Untergangs.
Verrat am Blute tötet. Sieg war Aas:
Ihr sterbt, wie dies Getier, an dem Triumph.»
    «Abscheulich.»
    Professor Bertram verstand das offenbar falsch und erhob sich sichtlich bestärkt. «In Lied und Prosa rief ich zum Kampf gegen die Entartung Deutschlands auf. Der Deutsche braucht nicht die Freiheit zum Gezänk. Seine Freiheit ist eine Blutvermählung.»
    «Bitte?»
    «Allein die geschlossenen Reihen opfermutiger Nordmänner, erlöst von zersetzender Bluteinmischung – Sie wissen, Juden gaben auch vielfach den Ton an –, konnten uns die tiefste Freiheit geben, jene des freudigen Opfermuts.» Der Eindringling, der sich jetzt verheerend in der Epoche vertat, umfaßte triumphierend den Bettpfosten.
    «Thomas Mann entgegnete Ihnen nichts?»
    «Der Schlappschwanz. Er hatte sich nach zähem Wenn und Aber, schon das ein modernes Zerfallszeichen, zur Republik bekehrt. Rundum, klipp und klar. So, als ob der Harzer Brocken sich gedreht

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